11
Dez
2008

Vom Mieten und Vermieten in East London

Was haben Eddi aus Australien, Nadja, die junge Kellnerin aus der Slowakei Visvalidis, der Bus fahrende Grieche, Carlos, Bänker, aus Spanien, Aida aus Brasilien, Marama aus Neuseeland, das Pärchen Gemma und Alex, die englische Architektin Lydia, und Eleonora aus Italien gemeinsam? Sie sind alle wie ich vor 3 Monate auf Wohnungssuche.
Ich saß damals im Büro der Agentur, hab Fotos gesehen, und das erste Zimmer gleich genommen, das wir daraufhin anfuhren, weil es nicht stank, weil es ein großes Fenster hatte, und hier anscheinend auch noch andere Menschen hier leben. Gut, nicht allein, und einigermaßen sauber. Das Bad so groß wie die Dusche selbst und die Toilette nicht wirklich großzügiger an Platz, aber ein potentielles zu Hause, und das Ende der Suche.
Unsicher beim Unterschreiben des Vertrages, denn Verträge haben immer irgendwelche Haken, und dann auch noch auf Englisch wenn ein dicker brasilianischer Makler mit schwerem Akzent versucht das ganze seriös zu verkaufen, während seine Kollegin mir gegenüber sitz, so auf ihrem Kaugummi herumschmatzt dass ich ihr ganzes Gebiss sehen kann, dabei irgendwelche Destiny’s Child singt, und es dazwischen schafft auf portugiesisch zu fluchen.
Südländisches Arbeitsklima, definitiv. Die Italienerin streitet im Nebenzimmer in ihrer Muttersprache mit einem Arbeitskollegen, zwecks Rauswurfs eines Mieters. Italienisch, Englisch, Italienisch. „Make him pay and then throw him out. Basta!” Ihr Schlusswort nehme ich an.
Der Haken des Vertrages: ein Nachmieter finden beim Auszug.
Und wer bitte zieht an Heilig Abend in die kälteste Stadt Europas? Eine Hand voll Leute haben sich gemeldet, das Zimmerangebot ist immens, und die Agentur wollte mit dem Preis für Dezember einfach nicht runtergehen, wie es die meisten Landlords hier über Weihnachten machen, um auf dem Markt konkurrieren zu können.
So kam es, dass Eddi, Nadja, Visvalidis, Carlos, Aida, Marama Lydia, und Eleonora sich mein Heim angesehen haben. Mal wars zu klein, mal zu teuer, mal zu laut, und manche ließen bis auf ein „ich melde mich“ nichts von sich hören. Als Gemma erfuhr dass zwei Jungs im Doppelzimmer wohnen kam von ihr nur ein erschrockenes “are they gay???“ auf das ich ihnen am liebsten geantwortet hätte „don’t worry, ich glaube nicht dass sie Interesse an deinem Moppelchen haben könnten“.
Nach einer langen E-Mail Diskussion hat sich dann doch mein Nachmieter gefunden. Ausfindig gemacht im Gumtree, ein Berliner, dessen Ex-Freundin einst im Bavarian Beer House gearbeitet hat. Klein ist die Welt…

Heimreise, gedanklich

Eine Metallfeder bohrt sich in meinen Rücken, ich verdreh mich, gähne lauf und linse unter meinen 3 Decken hervor, unter denen ich mich mittlerweile verkrieche um nicht mit Frostbeulen auf zu wachen. Der Zug rattert vorbei, aber entweder nehme ich ihn weniger wahr oder er ist tatsächlich leiser. Auch die Bauarbeiter nehmen Rücksicht. Nur die Kinder in der Wohnung trampeln in derselben Lautstärke wie gestern um Mitternacht. „Donnerstag Morgen, 11.07 Uhr“ sagt mein Deutscher Wecker, „noch genau eine Woche“ antworte ich ihm. Mein heilendes Knie juckt. „Was will ich heute sehen?“ frage ich mich selber. Das sollte ich jetzt nämlich tun, bin schließlich nur noch 7 Tage hier, und von denen wollen 6 nicht vergeudet werden. Den siebten selbst bin ich seit 3 tagen stündlich im Kopf durchgegangen:
Aufstehen, Frühstücken, Duschen. Mein Tickitt suchen, ausnahmsweise schneller finden als sonst, panisch alle Taschen durchsuchen nach dem Personalausweis. Perso finden.
Packen: und dabei zuerst die großen Sachen unten hin, zerbrechliches in die Mitte, Dosen füllen bevor ich sie in den Koffer packe, wegen des Platz Sparens. Elektrogeräte in meine Laptoptasche, denn Germanwings erlaubt es einem neben Handgepäck Elektrogeräte bei sich zu haben. Meine Transportable Familie, der weiße Stoffhase und der rote unidentifizierbare Knäuel, wie immer in den Rucksack. Irgendwo noch einen Platz finden für meinen Zeichenblock. Und dann vermutlich gewaltsam den 50 Kilo schweren Koffer schließen.
Um 12, um jedes Verspätkommen zu verhindern los an den Flughafen. Mit den 70 Kino Gepäck in der U-Bahn, die 100 Kilo meines Koffers an den Treppen der Liverpool Street Station ein hilfloses Gesicht machen, ihn mir hoch tragen lassen, ein letztes mal hier die Toiletten aufsuchen und meine 150 Kilo die Treppen runter poltern lassen um sie mit den Rolltreppen wieder zu den Gleisen hoch zu rollen. Die 200 Kilo in den Stanstad Express zerren, wobei, vielleicht mache ich wieder ein hilfloses Gesicht, und dann merken, dass mein Trolli nicht durch die Reihen passt ich ihn in der Mitte stehen lassen muss, einen nahe gelegenen Platz suche, mich setze und ganze 45 Minuten vom Flughafen entfern bin.
Dort: Einchecken, die 300 Kilo Übergepäck bezahlen, erleichtert mit 2 Jacken übereinander an zur Sicherheitskontrolle, um Platz im Koffer zu sparen, zu den Duty Free Shops meinen Parfumvorrat auf zu frischen, während ich in meinen 2 Hosen 3 T-Shirts und 5 Pullis fast eingehe.
Im Flugzeug: AUSZIEHEN! Und aufatmen, dabei verwunderte Blicke der Mitinsassen kassieren und vermutlich einschlafen.
Sollte das Flugzeug nicht gekidnapped werden dürfte ich dann spätabends in Stuttgart landen, um von meiner Familie, die von meinem Vater motiviert wurde 3 Stunden vorher los zu fahren dass wir nicht wie bei sonstigen Familienausflügen zu spät kommen begrüßt zu werden.
Ich geh dann mal frühstücken. Was ich heute mache? Was macht man nach 3 Monaten London in seiner letzen Woche. Nach 3 Monaten, die komplett gegen jede Vorstellung verliefen?
Jetzt schaut mich nicht so an, ich weiß auch nicht auf alles eine Antwort!

8
Dez
2008

London Transport System

Der dicke Wursthund, klein, weiß, mit kurzem Stoppelfell wühlt sich genüsslich auf dem Sitz neben seinem Glatzköpfigen Herrchen, das mit blutunterlaufenen Glubschaugen neben ihm sitzt und ihm seine Wampe krault. Da soll noch einer sagen, dass an dem Sprichwort mit den Hunden und ihren Haltern nichts dran sein.
Das dicke Tier gähnt und zeigt allen seinen roten Schlund, die Passagiere schauen angewidert weg. Was fällt diesem Penner ein, so was hier suhlen zu lassen, denken alle, zwar nicht laut, aber doch für jeden hörbar. Keiner sagt was, denn Hunde sind in der Tube ja auf den Schoß zu nehmen. Der Hund ist zwar nicht groß aber viel zu fett, dass er ganz auf Herrschens Schoß passen könnte. Die Menschen stehen mit Sicherheitsabstand um ihn herum.
Ich hasse Hunde murmle ich, und ich hasse die Tube.
Wenn man sich mal einen Tag lang vor dem Tageslicht drücken will, muss man nur mal mit der U-Bahn von Bow nach Putney fahren, anderthalb Stunden unter der Erde, der einzige Lichtblick, die an und ausgehenden Neonröhren an der Decke, während man ruckelnd losfährt und genau so ruckelnd zu stehen kommt, und das alle 2 Minuten.
Mich stört der eklige dicke weiße Hund mit dem etwas missratenen Gesicht nur wenig, denn diesmal steig ich nach den ersten zwei Minuten nach dem Ruckelstop wieder aus.
Am Gleis warte ich auf die nächste Tube, die mich nach Bank bringen soll. Eine dunkelhäutige Frau spielt mit ihren Fingernägel neben mir. Klakalakalakalakala… Das kann sie deswegen so gut, weil die Fingernägel ungefähr 20 cm lang sind. Unter dem Arm klemmt eine kleine pelzene Prada- Handtasche, ich stell mir vor wie sie etwas rausnehmen will, sie würde ja schon beim öffnen mit den Nägeln unten an den Taschenboden stoßen. Aber Vielleicht kann sie ihr Handy ja auch mit den Fingernägeln rausfischen. Das tippen dann stelle ich mir noch komischer vor, aber bevor ich mich weiter über sie amüsieren kann und bevor ich auf die alberne Idee komme ihr meinen Nägelknipser zu schenken, steht meine Bahn vor mir. Vorne drauf in Leuchtschrift Central Line und Endstation White City. Super, passt, nehme ich.
Ich habe Glück, und bekomme einen freien Platz auf den abgewetzten roten Sitzbezügen, direkt gegenüber eines notorischen Nasenbohrers, der gerade den Fang seines Lebens zu machen scheint. Seine Sitznachbarn scheinen das gar nicht wahr zu nehmen. Eine Mädchen meines Alters, pummelig und mit sehr vielen Pickeln blättert in einem Celebrity Magazin. Auf dem Cover Eva Longoria, eine, dieser verzweifelten Hausfrauen, soweit bin auch ich informiert, lächelnd und mit glänzender wallender Mähne. Das Mädchen selbst hat verdammt lichtes Haar fällt mir jetzt auf, also eigentlich schon fast ne Glatze. Ich fasse mir selbst an den Kopf, weil ich gerne vor dem Spiegel rumheule, der Meinung alle haben schöneres Haar als ich selbst. Werde ich nie wieder tun, schwöre ich. Der Mann neben dem Schatzgräber ist in sein Buch vertieft, so wie 70 Prozent der täglichen Tubefahrer. Man kann schon fast sagen, dass alle ohne Buch meistens Touristen sind. Ich selber habe „Die Entdeckung der Currywurst“ in meiner Hand, aber die Entdeckungen beim beobachten der Menschen lenken mich manchmal etwas ab von meiner Lektüre.
Ein paar schicke Anzugträger stehen in den Gängen und unterhalten sich angeregt über den Tag im Office, setzen das eine oder andere Streitgespräch fort, oder überlegen sich, wohin es am Casual Friday nach Feierabend hingehen soll.
Es ruckelt, die Passagiere drücken sich Richtung Tür, von beiden Seiten allerdings. „Let Costumers off the train first“ schallt die Durchsage. Immerhin machen Engländer was ihnen die Durchsagen mitteilen.
Es ruckelt erneut, die Bahn fährt wieder los, aber zuerst macht es noch einen Knall, ein paar schauen sich erschrocken um, andere sind schon gewohnt in ihr Buch vertieft, ein paar Passagiere taumeln zwei, drei Schritte, und die Fahrt geht weiter. Es riecht nach Urin und Bier, und ein bisschen nach 3 Tages Festival am letzen Tag. Ein Penner ist eingestiegen, und alle rümpfen die Nase. Sein Parfum verbreitet sich rasch, und man sieht wie die Menschen um ihn, so auch ich versuchen die Luft an zu halten. Sein vermutlich ganzes Hab und Gut trägt er in Säcken auf seinen Rücken gebunden und in der Hand. Er ist dreckig, sein Haar und sein Bart verfilzt.
Als ich mich dann doch für mein Buch entscheide hält die Bahn. Liverpool Street Station. Ich blicke auf, noch ein Halt. Eigentlich. Eine Durchsage, ich hör mit halbem Ohr hin. „Change“ ist alles was ich verstehe weil die Ansagen- Frau so einen schrecklichen Französischen Akzent hat, dass ich zuerst vermute in einer Metro in Paris zu sitzen. Kurz darauf wird die Tube immer leerer. Beim ersten Mal hab ich gewartet, dass es jetzt weiter geht, aber mittlerweile heißt das, dass wir hier rausgeworfen werden, und dass die Gleise aus irgendeinem Grund plötzlich gesperrt wurden. Ich reihe mich in die Lange Schlange an der Rolltreppe um die Linie zu wechseln, renne dann die nächste Treppe wieder runter, weil die Bahn schon da steht und drücke mich durch die Tür bevor sie schließt. Ein paar Männer in Anzug drängeln sich an mir vorbei, um an den Sitzplatz zu kommen. Warum sprechen eigentlich immer alle vom englischen Gentleman?
Wir fahren los, um gleich wieder zu halten. Irgendwo im dunklen. „This Train is being helt to even out gaps in the service.“ Dass nenne ich mal “zu seinem Ruf stehen”. Weil jeder weiß, dass die U-Bahn unzuverlässig ist in London, halten sie vorsätzlich, um für gleichmäßige Lücken und Zuspätkommen zu sorgen. Liebe Deutsche Bahn, nehmt euch doch ein Beispiel!
An der Morgate Station will ich wechseln, nur fährt hier heute den ganzen Tag keine Northern Line, und ich mache mich auf die Suche nach einem Bus zur Old Street.
London Transport, die bringen einen überall hin, manchmal sogar bis zur Verzweiflung.

Count Down

Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort,
hab‘ mich niemals deswegen beklagt.
Hab‘ es selbst so gewählt, nie die Jahre gezählt,
nie nach gestern und morgen gefragt.

Fragt mich einer, warum ich so bin, bleib‘ ich stumm,
denn die Antwort darauf fällt mir schwer.
Denn was neu ist wird alt und was gestern noch galt,
stimmt schon heut‘ oder morgen nicht mehr.
(Hannes Wader)

Während ich mein Zimmer aufräume muss ich schwer gegen den Wunsch ankämpfen, alles einfach in meinen Koffer zu werfen. Vor ein paar Tagen saß ich noch mit Steffen im Hyde Park, und meinte dass ich mir gar nicht vorstellen kann in zwei Wochen schon gar nicht mehr hier zu sein. Dabei bin ich doch erst vor kurzem hier angekommen.
Auf der anderen Seite ist London so klein geworden. Die Leute die ich Tag ein Tag aus sehe sind angenehme Kollegen, teilweise auch Freunde mittlerweile, aber es sind dieselben. Es ist wie in meiner kleinen Heimatstadt, alle kennen sie sich, alles ist Routine.
„Ich will nach Tokio oder so“, hat Sebastian gesagt, und weiter erklärt „Irgendwann wird ja auch London langweilig.“ Für einen der noch nicht hier war, wird das eigenartig klingen, aber er hat schon recht. Außer ich würde meinen Job wechseln, in einen anderen Teil der Stadt ziehen, und für eine vorüber gehende Weile wieder etwas Neues sehn, aber im Großen und Ganzen würde sich wohl kaum was ändern.
Die Tage hier ziehen immer schneller vorbei, die Nächte sind nur halb so lang. Morgens um 5 Stehe ich in Club und verstehe nicht, warum der Großteil schon heim ist, und der Rest auch aufbrechen will.
Im Bus habe ich neulich einen Jungen Studenten aus China getroffen. Er hat mich gefragt was ich hier mache, ich meinte, das weiß ich eigentlich selbst nicht. Er musste lachen, ich glaube er hat mich verstanden. Auf meine Rückfrage hat er dann geantwortet, dass er nicht in China bleiben konnte, da verschwindet man ganz schön schnell wenn man mal das falsche sagt. Wie lange ich hier noch bleibe will er wissen. „Weihnachten“ meine ich. Danach will ich in nach Afrika oder so. Irgendwo hin wo es anders ist als hier. Dann schwärmt er mir von Malaysia. Das Essen schmecke besser, die Sonne scheine heller, und die Menschen seien freundlicher. Vielleicht gehe ich ja nach Malaysia antworte ich ihm darauf.
Gestern hat Maike im Internet gelesen dass in Malaysia einer beim Karaoke erschossen wurde. Seine Mitsinger fanden, dass er das Mikro zu lange für sich selbst beansprucht hatte.
Es ist schon eigenartig, wie ich mich Anfangs nach Bekanntem gesehnt habe hier, und jetzt, wo ich anfange mich aus zu kennen, genau jetzt will ich schon wieder was anderes. Aber irgendwo, wo ich frei singen kann, bitteschön.

5
Dez
2008

Angeschlagen

Während neben mir meine Aspirin summt frage ich mich woher eigentlich diese Kopfschmerzen kommen, und ob diese ätzende Erkältung nicht endlich mal vorbei sein sollte.
Mein Kopf ist heiß, und meine Augen brennen. Der Himmel hat rasch zugezogen, und um halb drei Nachmittags ist die Dämmerung schon in vollem Gange.
Ich hasse solche Tage. Als ich das erste Mal in meinem Leben einen Kater hatte, hab ich mich gewundert wieso ich mir mitten im Sommer eine Grippe eingefangen habe. Jetzt, wenn mich ein Virus erwischt, frage ich mich zuerst, was der Kater hier zu suchen hat wen ich doch gestern gar nichts getrunken habe.
Meine Aspirin hat aufgehört zu summen, Schluckweise leere ich mein Glas, werfe ein paar Sachen in meine Tasche. Hier in London braucht man immer das Selbe: Schirm, Buch, Oyster, Handy, Schlüssel, Portemonnaie und mittlerweile Handschuhe. Steffen hat mir vorhin angerufen. Völlig verkatert sächselt er mir ans Ohr,dass er gestern noch in den Nachtbus gebrochen hat. Das weiß er von Sebastian, der scheinbar noch Erinnerung hat.„DANKE!“ Meine ich, „ich hab gerade eben gefrühstückt.“ „Was, du frühstückst JETZT?“
Wieso wundern sich Menschen nicht über die Tatsache nach lauter Vodka in einen Bus zu kotzen und sich am nächsten Morgen nicht mehr daran zu erinnern, aber darüber, warum Ich nach einer Doppelschicht, von der ich mitten in der Nacht heim komme Mittags um halb zwei frühstücke?!
„Ich schau mal vorbei“ antworte ich. „Mit etwas frischer Luft päppeln wir dich schon wieder auf, lass uns einfach durch n Hyde Park laufen, dann geht’s dir schon besser.“ Er stimmt mir zu, ich werfe meine Aspirin in ein Glas, und mach mich auf den Weg.

1
Dez
2008

Heimweg

Mein Tag heute beginnt mit dem guten Vorsatz mich mal wieder in der Galerie blicken zu lassen, vorher will ich aber noch das Paket aufgeben, in dem ich weniger wichtige Dinge schon mal im Voraus nach Hause schicken will, um mein Gepäck etwas zu reduzieren. Entgegen meines letzen Vorsatzes gehe betrete ich wieder meinen Lieblingspostschalter neben der Mile End Station. Mein Knie schmerzt heute noch mehr als gestern, und ich will mir einfach unnötige Lauferei ersparen.
Am Postschalter glaube ich meinen Ohren nicht, als die mal wieder schmatzende Inderin(diesmal ist es immerhin ein Apfel) sagt, das Porto betrage 30 Pfund. 30 Pfund für 4 Kilo. Ist sie des Wahnsinns? „Ich möchte gerne nur die billigste Versandmöglichkeit“ erkläre ich, und sie wiederholt in abgehacktem Englisch „Tördy Paunds“. Für den Betrag kann ich mich mit Ryanair schon selbst nach Hause senden denke ich mir, und bitte sie, mir mein Packet zurück zu geben. „Was wäre das nächst günstigere?“ will ich wissen, und sie sagt „ Mor den tu kilo, tördy Paunds“. „Aha, und zwei? Was kosten zwei?“ „ilewen Paunds“ sagt sie knapp.
„Also kann ich zwei Pakete günstiger versenden als dieses eine?“ „Mor den tu kilo, tördy Paunds“ wiederholt sie, als wäre das genug als Erklkärung. Abgesehen davon habe ich lange genug auf dem Wochenmarkt gearbeitet, um zu wissen, dass ich keine 4 Kilo in meiner Hand halte, aber wie erkläre ich ihr jetzt, dass ich denke dass sie mich bescheißt, ohne dass sie mich vom Sicherheitspersonal abführen lässt, weil ich sie verbal bedrohe.
Ich klemme mir die in Bart Simpson verpackte Schuhschachtel unter den Arm und laufe wieder zurück in meine Wohnung. Dem ganzen Tag muss ich mir das Ding schließlich auch nicht hinterher schleppen. Mein knurrender Magen erinnert mich, dass es Mittag ist. Ich hab Lust auf was Warmes. Und außerdem scheint heute die Sonne. Ich dachte die gibt es gar nicht mehr in London. „Die letzte Sonne hab ich soeben verkauft, die nächste Ladung kommt erst in ein paar Monaten wieder rein, fragen sie am besten nach meinem Kollegen Herrn Sandmann“ hätte mir der Typ aus dem Buch das ich gerade lese erklärt. Ich habe heute keine Lust auf Pierres dunkles Kämmerlein. Ich weiß, dass ich schon ewig nicht mehr da war, aber wieso soll ich etwas machen nachdem mir absolut gar nicht ist?
Während die Nudeln kochen putze ich den Backofen und spüle das Geschirr, dass mein Mitbewohner, der „Irgendjemand“ heißt, und scheinbar irgendwo hier wohnt stehen hat lassen. Philippe, Andrea, Marco und Minh waren es jedenfalls nicht. Minh hab ich nicht gefragt, aber er hat auch seit einer Woche sein Zimmer nur verlassen um auf die Toilette zu gehen. Die Pasta mit Tunfisch schmeckt lecker, danach gönne ich mir noch einen Spaziergang durch den Park.
Ich schnappe mir meine hellblaue Lektüre, und mache mich auf den Weg. Im Park sind trotz eisiger Temperaturen eine menge Menschen unterwegs. Ein älteres Paar füttert die dicken Enten und Möwen, die plötzlich zu hunderten landen und sie schnatternd einkreisen. Zu schnattern beginne ich auch bald, ich hätte mir Handschuhe einpacken sollen, sowieso ist das Wetter nicht geeignet um bewegungslos in der Kälte zu sitzen.
Ich fliehe in das Cafe, das mir schon beim letzen Mal aufgefallen ist. Es ist eines von denen, die fairen Handel unterstützen, und dennoch billiger ist als Starbucks (ich hab noch nie bei Starbucks was getrunken, aber eine Zeit lang aus dem Vorratsraum Wasserflaschen geklaut. Der Laden war gleich neben irgendeiner großen Tube Station, und war für Judith und mich eine einladende Öffentliche Toilette. Während eine Schmiere stand, hat die andere die Tasche gefüllt. )
Ich entscheide mich etwas für eine fairere Welt zutun und bestelle einen Tee. Sie haben nur Grün und Schwarz. Für Schwarz ist es mittlerweile zu spät, und grün schmeckt mir nicht, aber er ist heiß, und das genügt mir und meinen Eiszapfenfingern dann doch. Während ich über meinem Buch zusehe wie es draußen immer dunkler wird leert sich das Cafe. Es ist 4, und der Park schließt viertel nach. Als ich wieder weiterlaufen will brennt mein Knie noch mehr. Stillsitzen tut ihm irgendwie nicht so gut.
Auf dem Heimweg humple ich über den Roman Road Market, und betrete einen Woolworth. Nicht dass ich einen Toaster, Putzeimer, PC oder vielleicht eine Baby Born Puppe (es gibt diese Dinger tatsächlich noch) bräuchte, aber es ist warm, und man kann sich ja mal einfach so umsehen. Ich schlendere durch die Regale. Die Spielzeugecke löst beim mir Kopfschütteln aus. Es gibt Roboter als Kuscheltiere. Womit sich Kinder heute so unterhalten…
Vor einem Regal bleibe ich stehen. Ich will diese blöde Verpackung aufmachen! Schaut ein Verkäufer? Ich will nicht zum Kauf gezwungen werden! Aber es sind doch wie ich vermutet habe sehr gute Pinsel. Ich streiche mit meinem Finger über die Borsten. Drei Euro in der Spielzeugecke… Die Leute wissen auch nicht was sie verkaufen. Erfreut über das Schnäppchen kaufe ich mir noch eine Packung Kinderriegel, und stelle mich an die Kasse. Der Verkäufer bittet mich an eine andere. Ich zahle, und während ich meinen Heimweg fortsetze wird mir bewusst, dass ich soeben Pinsel gekauft habe.

The Royal Mail Service

Kürzlich wollte ich eine Postkarte aufgeben, und spaziere in das Postamt gleich um die Ecke. Es ist halb 5, und ich wollte die Karte schon seit ein paar Tagen aufgeben. Hinter dem Schalter sitzt eine kleine Inderin, an der Glasscheibe hängt ein Zettel „Closed“. Ich stelle mich an den anderen Schalter, die Frau scheint alle Zeit der Welt zu haben, schiebt sich eine Hand voll Chips in den Mund und kaut. Ich finde nichts unattraktiver als Chips essen. Selbst beim Döner essen macht der Untalentierteste eine bessere Figur. Ich kann ihr einfach nicht zusehen, wie sie eine ganze Hand voll auf einmal reinschiebt, und mit den Fingern nachstopft, damit das ölige Zeug auch ganz reinpasst. Trotzdem bröseln ihr ein paar Krümel aus dem Mund. „Closed“ ruft sie schmatzend und mit vollem Mund zu mir rüber. „Dieser auch?“ „Closed“ ruft sie wieder. Ich hasse es wenn ich Menschen eine Frage stelle und sie geben einfach genau denselben Müll wieder, weswegen ich eigentlich gefragt hatte. „Ja, dieser auch“ ist doch nicht zuviel verlangt, oder? „What do you want“ ruft ein älterer Mann hinter mir unfreundlich. Er steht hinter einem Kiosk in der anderen Ecke des Ladens. Ich drehe mich zu ihm um. “I wanted to buy a stamp“ rechtfertige ich mich. Kann ich ahnen, dass ein Postschalter um halb 5 schließt? „She told you it’s closed“. Sag mal steht da eigentlich Hein Blöd auf meiner Stirn? Ich reiße mich zusammen und frage freundlich ob er mir dann eine Briefmarke verkaufen kann. „What stamp“ kommt forsch zurück. „For a Postcard“ antworte ich. Wofür kann ich schon eine wollen Alter? „I don’t have any“. Arschloch, wieso fragste denn dann noch so blöd denke ich genervt und drehe mich um. „Try tomorrow“ ruft er mir hinterher.“ „Da kannste aber langte warten“ antworte ich auf Deutsch und verlasse den Laden. Wie kann man einem netten jungen Mädchen nur so die Laune versauen?

Akrobatikkünste

Während das heiße Wasser in die Wanne plätschert kommt aus den Lautsprechern meines Laptops Katie Melua. Eine Tasse heißer Apfelwein steht neben der Badewanne, Kondensierter Dampf tropft von der hellgelben Decke. Mein Knie leuchtet blau und rot, und wenn ich es biege schmerzt die geschwollene Stelle. Dafür aber beschreibt es aber meinen Zustand heute ziemlich gut.

Im Bierhaus hab ich wieder etwas Akrobatik zum Besten gegeben, als ich mit 4 Salatschalen bewaffnet den hungrigen Gästen entgegentreten wollte, und der glatte Boden sich mit meinen Ballerinas gegen mich verschworen hatte. Die ungeplante Doppelschicht, über die ich gestern Abend informiert wurde war heute einfach zuviel für mich. Toms Begrüßung war ein „ich mach dir mal n Tee Schatzi“. Immerhin konnte ich mich auf meinen Koch heute verlassen, der für mich scheinbar soviel Geduld wie eine ganze Armee hatte. Trotzdem war meine Strickjacke in der ich zumindest nicht ganz so fror voll mit Salatdressing. Meine satten Gäste reklamierten eine Schweinshaxe, die ihnen zu kross war, das Kartenlesegerät verschluckte Belege, und ich verdrehte Bestellungen. „Wenn ich dir das Messer jetzt gebe“ meint Tom spöttisch, während ich eine Kerze auf der Geburtstagstorte anzünde, muss ich dann Angst haben, dass du es dir in den Bauch rammst?“ Mein Kopf ist heiß, meine Nase zu. Die Hustenanfälle kommen am liebsten dann wenn ich das Tablett balanciere. Um neun bin ich endlich fertig.

Daheim sind meine Zehen taub vor Kälte. Ich schmeiß mir zwei Ricola in eine Tasse und gieße kochendes Wasser darüber, während ich fast genau so heißes Wasser in die Badewanne einlasse, bis nichts mehr aus dem Hahn kommt.

Liebe Leser

Kleiner Einschub Heute:

Seit eiener ganzen Weile, und nun immer häufiger bekomme ich Mails von Freunden, Bekannten, Kollegen und sogar mir unbekannten Leser, die meinen Blog verfolgen. An euch:

Vielen Dank, dass ihr meine Erfahrungen mit mir teilt, und dass ich euch unterhalten darf. Natürlich hätte ich nie gedacht, dass irgendwann so viele Menschen hier mitlesen, aber ich grüß euch alle da draußen, wo auch immer ihr seid! Es ist mir eine Ehre!!


P.S.
Und danke, dass ihr mit meinen Tippfehler so großzügig umgeht ;-)

28
Nov
2008

Freitag Abend in London

Freitagabend. So spät ises doch gar nicht, wieso ist denn keiner online?
Mit den Kopfschmerzen kann ich nicht schlafen, und da fällt mir ein, warum keine Sau an ihrem PC ist: Wir haben Wochenende. Freitagabend. So’n Scheiß, und ich bin krank. Das schlimmste am Kranksein ist eben einfach dass man sich selbst auf die Nerven geht während man keine Ahnung hat was man den mit sich anfangen soll. Ich bin ein Unternehmungs- Suchtie und es ist mir schon schwer genug gefallen meine Krankmeldung nicht Rückgängig zu machen, die ich auch nur übers Herz gebracht habe, weil ich mich im Moment des Telefonats dem Koma nahe gefühlt habe.
Jetzt sitze ich also da, und warte. Und warte. Worauf? Es wird wirklich keiner online kommen, und wenn dann sind es Menschen, die sowieso nichts zu erzählen haben. DVDs habe ich keine und meine CDs treffen einfach nicht meine Laune heute Abend. Da sitz ich, in London am Wochenende, wo nachts alles lebt, wo jeder, der rausgeht verrückt werden kann, allein in meinem Zimmer, mit dem Laptop auf meinem Bauch und versuche schlafen zu können. Freitagabend in London.

Abschied

Nachdem Englands Küste, das Londoner Marktleben, sein Nightlife, das Musikalische Kulturgut (Chicago) und auch die Shoppingmöglichkeiten erkundet waren stand noch der Besuch bei der Queen auf dem Programm. Die Wachablösung mir Jahrmarktmusik war kurzweilig interessant, das Harrods wartete aber schon. Bis auf einen Snack wurde zwar nichts gekauft aber viel gestaunt über das Angebot, den Reichtum und auch die Freundlichkeit des Personals den armen Touristen gegenüber und die luxuriösen Toiletten. Ein Spaziergang durch den Hyde Park führte am Deutschen Weihnachtsmarkt, dem kitschigen Winter Wonderland vorbei, große Plakate von Germanwings werben mit sich küssenden Pärchen, Kerzen und Glühwein für Nürnberg und andere Real German Christmas Markets.
Nach Deutschland ging es an diesem Tag auch für Judith. Nachdem ich jetzt auch mein Adventsmitbringsel öffnen durfte, ein Teeadventskalender (was es nicht alles gibt…) musste ich sie schon wieder verabschieden. Die 5 Tage vergingen schneller als die letzen beiden seitdem sie weg ist und ich mit einer Erkältung im Bett liege.
Von Pierre kam überraschender Weise sogar ein besorgter Anruf und ich bin mittlerweile ganz schön hin und her gerissen zwischen der bevorstehenden Wiedersehensfreude und dem Abschiedsschmerz.

England, Mutter der Porzellankiste

„Mind the Gap!“. „Please don’t leave your lagguage unattended.” “Keep you belongings at all times with you and tell suspicious items or behaviour to a member of staff” und man beachte: Milchprodukte beinhalten Milch, und Gemüse ist empfehlenswert für Vegetarier.
Ja so sind sie, unsere lieben Nachbarn auf der Insel, immer schön vorsichtig, man weiß ja nie was kommen könnte. Um Bomben in den U-Bahnen vorzubeugen findet man hier keine Mülleimer. Aber sind wir deswegen in Sicherheit?
There’s no Place like London. Während Jack the Ripper hier in East End vor vielen, vielen Jahren sein Unwesen getrieben hat und Sweeny Todd aus der Fleet Street Touristen zu Pastete verarbeitet hat, hat schon Sherlock Holmes Acht gegeben, heute ist es das Security Staff.
Aber was bitte, hab ich mich letztens gefragt, ist suspicious behaviour?
Kleines Erlebnis dazu: Einer dieser Tage, an denen ich mal wieder auf den letzen Drücker, oder vielleicht sogar noch später von daheim weg bin. An der Mile End Station will ich umsteigen. Aber wer ist der Mann da neben mir? Eingewickelt in weiß und hellgrün sitzt er da, einen riesen Leinensack auf eine Sackkarre geschnürt, und etwas, das mit einem Rosenkranz vergleichbar ist in der Hand murmelt er irgendetwas vor sich hin. Ist das sein Abschiedsgebet? Darf ich hier einsteigen? Oder soll ich eine Tube später nehmen? Wenn ich zu spät zur Arbeit komme werden sie mich auslachen. Kann doch schlecht sagen ich hatte Angst vor so einem Maharadscha. Ist es jetzt eigentlich egoistisch dass ich die anderen Menschen auf dem Bahnsteig nicht warne, oder ist es rassistisch, dass ich einem 70 jährigen buckligen Mann unterstelle, dass er ein Terrorist sein könnte.
Vor zwei Jahren war ich noch ahnungslos und begeistert von den vielen bunten Menschen, nach einer Nacht am Stanstad Airport, und einem ungeplant langem Aufenthalt, den wir den Homies von Al -Kaida zuzuschreiben hatten, sieht das heute anders aus. Während ich Platz nehme und der Mann in die Bahn einsteigt muss ich selber den Kopf schütteln. Die nächste kommt 8 Minuten später, im Beerhouse behaupte ich die Zeit vergessen zu haben. Aber lieber einmal umsonst vorsichtig gewesen sein, man kann ja nie wissen. Und beim Ein- und aussteigen immer auf die Lücke achten.

Weihnachtsgans und Nachwehen

Die letzen Nächte waren wie auch die Heutige bitterkalt. Der Bus ist Gott sei Dank fast pünktlich. Mit voller Geschwindigkeit rast er an mir vorbei und erst da merke ich, dass ich vergessen habe zu winken.
Die Weihnachtsfeier ging ziemlich bald auseinander, nachdem das Essen vorbei war und jeder seine Geschenke hatte. Um die Stimmung etwas anzuheizen wurde das Schnapsverbot aufgehoben, es gab Vodka Brause, Jägermeister und Jäger- Bull.
Jetzt erkannte man auch diejenigen, die hier zu Engländern geworden sind, an ihrer Trinkfreudigkeit und der Hingabe des Betrunkenseins. Für mich gab es auch ein paar Kurze, aber die Wirkung blieb aus.
Meine verlangsamte Reaktion merke ich erst, als ich dem Bus zuerst verdutzt hinterher schaue und dann einer rekordverdächtigen Geschwindigkeit hinterher hechte, die Straße entlang zur nächsten Haltestelle. Die rote Ampel gibt mir etwas Vorsprung. 10 Meter vor mir schließt er die Tür, meine drei letzen Schritte werden größer aber meine Hoffnung ist gleich Null als ich mit den Fingerspitzen die geschlossene Tür erreiche und kläglich klopfe. Meine kalte Hand brennt vor Schmerz, der Bus fährt links, blinkt und hält.
Mit rasendem Puls keuche ich ein „Thank you“ und lasse mich auf einen Sitz fallen. „Not bad“ meint der Mann, der vor mir sitzt bewundernd. „ Ich hab ihn an der Haltestelle davor verpasst“ erkläre ich außer Atem. „Hab ich gesehen, nicht schlecht“ meint er nochmals.
Mein Kopf schmerzt, der Schlafmangel macht sich spürbar. Ich muss aufpassen nicht im Bus einzuschlafen.
Eigentlich wäre ich gerne länger im Beerhouse geblieben, aber Alkohol und Zigaretten gehören nicht zu den Mitteln, mit denen man mich locken kann. Der Anfang der Feier war super. Das Essen wurde zusammen zubereitet, es gab für jeden einen Cocktail, eine festliche Rede, Gans und Rotkohl mit Knödeln, Bratapfel und Wichtelgeschenke. Dann war der Zauber vorbei. Bei Schnaps und Karaoke verzogen sich die ersten, die zweiten, manche paarweise, andere zu dritt, die restlichen haben gesungen, schief oder auch richtig, Eva und ich haben uns als Beat box versucht, sie mit etwas mehr Übung, die Auswahl der Lieder wurde mittelmäßig und irgendwann für mich zur Rauswurfmusik.
Die Bow Road heim laufend springt ein Eichhörnchen aus dem Gebüsch, ich erschrecke mich so dass meine Knie kurz zittern und frage mich ob das zu einer Lebensverkürzung führen kann, und wie oft ich Tränen lachen muss um das auszugleichen. Ich weiß selbst nicht, warum ich plötzlich so schlechte Laune habe. Judith ist noch wach, öffnet mir die Tür, ich poltere die Stufen hoch, ignoriere das Bad und meine Zahnbürste und falle ins Bett.

Multikulti

„Oh man, wir hätten das Frühstück ausfallen lassen sollen“ staunt Judith als sie die Halle des Sunday Up Markets in der Brick Lane betritt. Der Anblick von 50 Imbissständen aller Nationalitäten hat auch mich beim ersten Mal total umgehauen. Auch die Vielen Designer Stände und Allerleibuden können einen grauen Londoner Nachmittag richtig bunt machen. Weiter zum Spittelfields erkennt man wirklich das Talent der Londoner, auch die kalte Jahreszeit zu gestalten. Irgendwie wachsen sie einem eben doch ans Herz, die kalten Fische mit ihrer rosa Haut, den orange Haaren und ihrem British Accent.
Es ist die Liebe zu den vielen Details der kleinen Designerstände, wo Künstler jeder Art ihre Arbeit verkaufen. Den selbst gemachten Buttons, Kleider, Taschen, Schmuck sieht man wirklich an, dass sie ein Stück ihres Herstellers selbst sind, in denen diese ganz aufzugehen scheinen.
Manchmal könnte man sogar glauben dass London der Künstler ist, und die Menschen sein Kunstwerk, kalt, grau, aber auch bunt, scharf, laut und voller Leben.
Während Judith sich gar nicht entscheiden kann und sich einen asiatischen Teller bunt mischen lässt ist mir heute nach Pizza. An einem Stand mit Osteuropäischer Musik, Büchern über Gipsys und Kafka auf Englisch bleibe ich stehen und stöbere. Schreibe mir Buchtitel raus, die ich daheim kaufen will. Ich bereue es immer wieder, dass ich im Grunde so wenig über das Land weiß, in dem ich vor 21 Jahren geboren wurde, über Ceausescu, den Kommunismus und das Leben das die Menschen geführt haben, die während des kalten Krieges auf der Ostseite gelebt haben. Der Mann selbst scheint Kroate zu sein, oder Serbe.
In einem Kostümgeschäft kaufe ich Engelsflügel für die Weihnachtsfeier zu der ich eigentlich schon auf dem Weg sein sollte und steck mir beim rausgehen einen Stimmungsring an den Finger. Er ist blau orange marmoriert.
Während ich Judith noch weiterschlendern lasse lauf ich zur Liverpool Street Station, unterstütze sie mit 30 Penny und fahre los in Richtung Old Street zu meiner deutschen Ersatzfamilie.

I got the wirst Hang over ever

Stell dir vor, dass die Erdanziehungskraft
sich vervierfacht hat und dich völlig schafft.
Stell dir vor, du wärst hundert Jahre alt
und man hätt' dich auf 'ner Tragfläche festgeschnallt.
Stell dir vor, man hätte dich beim Iron-Maiden-Konzert
mit dem Ohr an der Membran in die Box gesperrt.
Stell dir vor, du wärst der Frosch, der sich im Mixer dreht -
jetzt weißt du ungefähr, wie's mir heute geht.
Heute krieg ich nix mehr hin,
weil ich total am Ende bin.
Das ist traurig, aber wahr.

(Wise Guys "Was für eine Nacht")

Mit dem Gehirn auf Stand by, und dem Magen auf Konfrontationskurs beginne ich den Tag. Gestern haben wir dem Britenpack gezeigt wie man feiert! Heute sehen sie wie man leidet. Das Frühstück, ein Steakwecken auf dem Borough Market quält sich meine Speiseröhre hinunter, auf mein Personalessen im Bierhaus verzichte ich. Meine ersten Gäste beginnen den Abend mit Schnaps, und wollen mich einladen. Dankend lehne ich ab. Vom Bier, das ich serviere wird mir übel, am liebsten würde ich mich unter die Theke legen und schlafen.
Das Gute an diesem Tag ist definitiv nur dass er zu Ende geht, als ich um 4 Uhr morgens in meinem Bett liege.
Zu meiner Rechtfertigung? Musste eben einfach mal wieder sein ;-)

27
Nov
2008

Jetzt wird geclubbt!

Daheim in Deutschland hab ich von Nächten, die bis in den Morgen gefeiert wurden nicht genug bekommen können, Wochenenden durchgezecht. Vom Warm- bis zur Afterhour. Wenn schon, denn schon! Hier kam das alles viel zu kurz bislang, und heute will ich nur noch raus, will tanzen, trinken, was erleben.
Nach einer Dusche sind wir frisch, und dem Abendessen gestärkt, den letzen Wein geleert, und die Party fängt schon daheim vor dem Spiegel an, wo wir überzeugt feststellen dass wir heute umwerfend aussehen.
Um etwa zwei Minuten verpassen wir die letzte U-Bahn warten auf den ersten Nachtbus, der uns ans Beerhouse bringen soll. Meine Ersatzfamilie da ist schon fleißig am Vorglühen, ich gönne mir einen Gin Tonic, Judith drücke ich einen Berenzen in die Hand. Nach einer kurzen Diskussion steht kein Ziel fest, weswegen wir einfach mal loslaufen. Unsere Begleitung für den heutigen Abend heißt Steffen und Sebastian. Als unsere beiden Barkeeper nicht ganz überein kommen, und die ersten Clubs scheiße, zu, fast zu, noch nicht auf sind, stellt sich Sebastian vor den nächst besten Club, um dem Rumstehen in der Kälte ein Ende zu setzen. Es ist ein Club, in dem die Teenies vor 30 Jahren mit Sicherheit ihren Spaß gehabt hätten, während sie auf der Tanzfläche twistend Marihuana geraucht hätten.
Deswegen gibt’s heute Vodka, eiskalt, Shot after Shot runtergestürzt.
Ich weiß nicht wie oft ich die Toilette aufgesucht habe, in der die Putzfrau ihr Gehalt mit Lollys aufbessert, die Türen nicht verschließbar sind und die Spülung genau so wenig funktioniert wie der Händetrockner. Irgendwann hieß es, dass ein elektronischer Laden um die Ecke bereits aufhat, unsere Uhr sagte irgendwas nach 4, ich hatte keine Ahnung ob ich mehr Zeit an der Theke oder auf der Tanzfläche verbracht habe, stolperte durch die immer noch twistenden Menschenmenge nach draußen in die Kälte. Irgendjemand hielt mir einen Burger unter die Nase, alles was ich weiß, ist das meine Zunge brannte, ich mag kein scharfes essen. Die Pumps aus denen ich die Pflaster entfernen musste rieben, ich fragte wer mich trägt, Sebastian setzte mich auf seine Schulter, Judith oder Steffen riefen „ACHTUNG!!!“, das Straßenschild hing gefährlich niedrig für zwei Menschen, 20 cm tiefer, und der Abend hätte ein frühes, schmerzliches Ende genommen.
Irgendwann standen wir vor dem nächsten Club, und irgendwann danach waren wir scheinbar drin. Meine Erinnerung weiß von dumpfen Bass, elektrischen Tönen, dunklem Raum und ein paar hellen Scheinwerfern. Als wir rauskamen war die Sonne schon lange aufgegangen, die frische Morgenluft schlug mir ins Gesicht wie eine Ohrfeige, ich fühtle meine Füße brennen. Die drei überlebenden des Abends kämpften sich in Richtung U-Bahn, die bereits wieder fährt. Samstag morgen, total durch, müde, ahnend welcher Kater mich erwarten dürfte aber in voller Vorfreude auf die nächste Party ging es erstmal heim, drei Stunden Schlafen…

Tag am Meer

Aufstehn, Judith will was erleben!!
So beginnt mein Tag, Freitagmorgen 12.30. Gestern Abend habe ich nach meiner Beerhouse Schicht, die lahm anfing und stressig geendet hatte, weil mal wieder 20 Gäste mit Karte und auf einmal zahlen wollten mal wieder Besuch aus der Heimat bekommen. Wie schon gewohnt an der Toilette der Liverpool Street Station abgeholt, mit leichter Verspätung.
Tagesziel war heute die Küste in Brighton, die Sonne stand schon hoch und der Himmel versprach ausnahmsweise gutes Wetter. Ich konnte es kaum erwarten aus der Großstadt raus zu kommen, die ich jetzt seit 2 Monaten täglich um mich hatte.
Das British Transport System machte dann auch noch der Deutschen Bahn Konkurrenz, nachdem der Zug wegen Technischen Schwierigkeiten stehen blieb, und wir ersatzweise die Bummelbahn nehmen mussten. In der Befürchtung die Küste gar nicht mehr bei Tageslicht zu Gesicht bekommen, stiegen wir in Brighton aus, der ältere Mann hinter einem Tisch mit Informationsblättern und einem Walky- Talky in der Hand, das nur rauschen und quietschen von sich gab erklärte dass wir nur die Straße runter laufen müssten, 10 Minuten zu Fuß.
Aus dem geschäftigen Bahnhof raus, trete ich in eine komplett andere Welt: von der Straße, die direkt runter zur Küste führt kann man das Meer sehen! Nur ganz winzig und am Horizont kaum vom Himmel unterscheidbar blaues Wasser!
Auf den Seiten Seihen sich Cafes und Kioske aneinander, der Himmel färbt sich kobaltblau, am liebsten würde ich einfach loslaufen. Als ob sich ein Stau in mir auflöst, so schnell, dass man gar nicht mehr genau weiß ob er denn überhaupt da war.
Während wie uns dem Wasser nähern, das in leisen kleinen Wellen den Strand hochkrabbelt, fühlen wir uns beide immer mehr als wären wir gerade in die Toskana geflogen. Es windet mehr, und es ist kälter, aber die Luft, die einfach nach Luft riecht und ein bisschen nach Meer, Salz und Algen lässt uns selbst Kälte vergessen, zumal ich ganz großspurig nur einen Pulli angezogen habe und zu demonstrieren wie gut ich mich ans Londoner Klima angepasst habe.
Am steinigen Strand angekommen stürze ich mich auf die Muscheln, am liebsten würde ich eine Sandburg bauen. Auf die Knurrenden Mägen gibt’s belegte Brote und Tomaten während wir dem Himmel zusehen wie er sich zuerst gelb, orange und dann feuerrot färbt. Fröstelnd setzen wir uns wieder in Bewegung, laufen die Promenade weiter, schauen in ein paar Galerien rein, klauen Postkarten, eine Macke die wir vor zwei Jahren hier angefangen haben und die ich mir nicht abgewöhnen kann. Im ersten Pub wärmen wir uns auf, trinken heiße Schokolade, schauen aus dem Fenster zu wie der rote Himmel ziemlich bald schwarz wird.
Nachdem wir die Tassen schon fast runtergekippt haben, werden 2 Monate Informationsaustausch nachgeholt, Geschehnisse, Familie, Studium, Beziehung und Zukunftspläne werden beschrieben, analysiert, diskutiert oder kritisiert. Als wir die warme Bar zwei Stunden später verlassen hat es angefangen zu nieseln. Schirm haben wir keinen dabei. Trotzdem wollen wir noch einmal über den beleuchteten Pier laufen, ein Freizeitpark mit Karussells Achterbahnen, Gespensterhaus und Zuckerwatte, kitschig umzäunt mit Jahrmarktmusik und Casinos.
Dann fängt es an zu schütten, und wir laufen! Durchnässt und mit roten Nasen wird im Zug die Abendplanung weiter besprochen. Langsam wird es Zeit für eine richtige Clubtour, ich will das Londoner Nachtleben erkunden, auch wenn die frische Meeresluft mich ganz schön müde gemacht hat.

19
Nov
2008

Ratschläge

Marco stolpert kurz vor 3 in die Küche, in der ich tippend sitze. Erstmal füllt er sein Glas zur Hälfte mit Zucker, bevor er Orangensaft dazukippt und mit einem Suppenlöffel kräftig umrührt. Ich lache ihn aus. „Du bist Zuckersüchtig, kann das sein?“ „Ähm ja, nickt er, Zucker ist lecker!“

„Was hälst du von Arnold Schwarzenegger?“ frage ich interessiert. „Arnold?“ fragt er nach. „Ja, sag mir was du von ihm hälst“. Aber er scheint immer noch verwundert über meine Frage. Ich erkläre ihm die Situation, dass wir gestern eine Diskussion hatten über den Amerikanischen Traum mit unter, und Arnold Schwarzenegger, der diesen Traum lebt. Ob er jemand ist, vor dem er Respekt hat, präzisiere ich meine Frage. „Sonderlich intelligent wirkt er ja nicht gerade, aber vielleicht sehe ich das auch so, weil ich kein Amerikaner bin“, seine Antwort klingt überzeugt.

„Aber zurück zum Zucker“ fährt er fort. Von seinem Neuen Job ist er ganz begeistert, er kellnert in einem der Schicksten Restaurants Londons und hat gestern Jake Gyllenhaal seine Suppe gereicht. „Kannst du Claudia eben einen Kaffee machen?“ fragt ihn sein Chef, und er glaubt seinen Augen nicht, als eine sehr schöne Blonde Frau Ende 30 vor ihm steht. „Ich habe CLAUDIA SCHIFFER heute einen Kaffee gemacht!!!“ strahlt er ganz begeistert. „Sie war ungeschminkt, sie ist in die Jahre gekommen, aber sie ist immer noch sehr sehr Attraktiv“ sagt er bewundernd. „Wie alt ist sie eigentlich?“ „38 sagt Wikipedia“ „Ja, das könnte hinkommen, aber sie ist immer noch sehr hübsch“ wiederholt er sich.
„Wusstest du, dass sie Jura studieren wollte bevor sie Model wurde?“ „Tatsächlich?“ „Ja, steht hier. Hat sich aber dann fürs Modeln entschieden.“ „Ganz schönes Risiko“ nickt er mir zustimmend, ohne dass ich mich dazu äußern muss.

„Marco“ fange ich an, „Drei Verlage haben mein Reisetagebuch angenommen und wollen es eventuell drucken“. „Wow“, meint er, „ du scheinst einiges drauf zu haben“. „Ja, aber ich kann nicht beides studieren. Ich kann nicht Kunst studieren, Lehrer werden und auch Journalismus und Literatur machen. Ich kann mich aber auch nicht entscheiden.
„Ich glaube, Claudia ging es ziemlich ähnlich“, antwortet er.

Die Reise geht weiter

Nichts verschafft mehr Ruhe,
als ein gefasster Entschluss

-Talleyrand-


Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, aber es sind noch viele bis zum Ziel. Keine Landkarte kann uns sagen wie viele es sind, es liegt ganz an uns. Viele laufen los, um dann wieder daheim anzukommen, manche schlagen ganz neue ein. Mein Ziel ist noch nicht in Sichtweite, von meinem Weg sehe ich meistens nur die Stelle, auf der ich stehe, aber wenn ich stehen bleibe, werde ich auf der Stelle gehen, und mich fragen, warum ich nicht weiter komme.
Meine Miete werde ich nicht verlängern. Ich hoffe einen Nachmieter zu finden, ich werde einfach einen Nachmieter finden. Danach will ich durch England reisen. Die letzen Wochen will ich hier durch die Galerien ziehen. Ich will mir und der Kunst noch eine Chance geben. Uns ein paar Mal zusammen ausgehen lassen, sehen, ob wir nicht doch noch neue Seiten aneinender entdecken können, und vielleicht wieder Interesse aneinander finden.

Entscheidungen II

Beobachte die Schildkröte!
Sie kommt nur vorwärts,
wenn sie ihren Hals riskiert
-James Bryant Conant-


Noch exakt einen Monat bis zu meiner Abreise sagt mein Terminplaner. Einen Monat also noch um einen Nachmieter zu finden und eine Entscheidung zu treffen. Eine schwere Entscheidung. Die Kunst aufzugeben.
Ich kann mir jetzt einige entsetze Gesichter vorstellen, und nein, das war jetzt kein Gag um das ganze hier spannender zu machen.
Seit ich hier her kam hat sich einiges geändert. Ich kam hier an, und habe mich weniger fremd gefühlt als in der kleinen Stadt auf der schwäbischen Alb in der ich aufgewachsen bin, wo ich jeden kenne, und wo mich jeder kennt.
Ich wollte noch tiefer in die ganze Kunstspähre eintauchen, aber vielleicht war ich mir damals schon nicht mehr sicher und hab das ganze hier als Bestätigung gebraucht. Ich kann es nicht genau sagen.

Die Menschen die ich hier kennen gelernt habe, die Gespräche die ich hier geführt habe, die Entscheidungen die ich hier getroffen habe, und die Seiten, die ich hier getippt habe, das alles hat mir gezeigt, dass es noch mehr gibt als das was ich kenne, dass ich noch mehr kann, als ich mir zugetraut habe.
Bisher wusste ich von meinem Kunsttalent, und war stolz darauf. Nie habe ich ein Studium in Frage gestellt, nie wurden mir Nächte an der Staffelei lang. Jetzt habe ich das Gefühl, mein Ideenvorrat ist so leer wie die Puppen, mit denen ich hier täglich in der U-Bahn sitze. Als meine Freunde im Sandkasten heute Feuerwehrmann und morgen Pizzabäcker und übermorgen Rennfahrer werden wollten, hab ich mich als zukünftiger Maler vorgestellt. Jetzt will ich Feuerwehrmann, Pizzabäcker und Rennfahrer werden, am besten alles auf einmal.
Alles leuchtet fremd und interessant.

„Fremde Schönheit lockt, nicht weil sie schön, sondern weil sie fremd ist“, mahnt mich Ernst Hauschkas Zitat, das ich mal mit hellblauer Kreide auf meinen Kleiderschrank geschrieben habe.
Könnte ich diese Entscheidung bereuen? Werde ich sie bereuen?
Soll ich „vorsichtshalber“ eine Bewerbungsmappe machen, mich durch ein Selektionsverfahren kämpfen, um am Ende eine der 20 zu sein, die sich gegen die 600 Konkurrenten durchgesetzt hat? Oder es lassen, wie die Schildkröte meinen Hals riskieren, um vorwärts zu kommen, und am Ende das Genick brechen, wenn ich feststelle, dass ich die Zeit zurückdrehen will, und meine Entscheidung rückgängig zu machen?
Ich wollte allein sein, und meine Entscheidungen allein treffen, aber genau jetzt wäre es schön, wenn jemand neben mir wäre und mich einen Moment lang festhalten würde. Sagen würde, bleib mal stehen, schau mal zurück.
Pierre sagt deine Vergangenheit ist eine Last von der du dich am besten immer so schnell wie möglich befreist. Ich kann ihm nicht zustimmen.
Für mich ist Vergangenheit wie ein Keller, wir müssen nicht darin wohnen, aber wir können unsere Erfahrungen und unsere Werkzeuge darin sammeln für Zeiten in denen wir sie brauchen.
Ich will weg von hier. Ich will weiter. Weiterreisen, weiterfragen, weitersuchen.

Abendliche Diskussion II Vom Turmbau zu Babel nach Amerika

Und ihre Sprache
Ist voller Anglizismen
Ja, denn auf Englisch hört sich alles besser an
Beispielsweise geheime Staatspolizei
Heißt in Amerika schlicht und einfach
NSA oder FBI
Und auch ein Wort wie CIA Agent klingt doch echt
Viel eleganter und charmanter als
Folterknecht
-Bodo Watke "die Amerikaner"-

Tausende Sprachen die wir sprechen, die Bibel beschreibt es als eine Strafe für den menschlichen Größenwahn. Amerika hat uns befreit!

Wieder einmal sitzen wir zusammen. Pierre, Brian, Joanna und ich.
Joanna, das ist die neue Praktikantin. Polin, 37. Sie war mir vom ersten Augenblick an sympathisch, als ich feststellen musste dass sie im Gespräch mit Brian nicht weniger auf den Mund gefallen ist als ich es bin. Das heutige Streitthema ist kulturellen Inhalts, und mal wieder klafften die Meinungen auseinander.

Während wir versuchen Joannas Internet zum laufen zu bringen stellt sich heraus, dass sie Deutsch spricht. Genau wie Jonna auch, und Pierre, sowie Brian können nicht verstehen warum man so eine „altmodische“ Sprache spricht.
Meine wunderschöne Muttersprache, etwas zu sehr befallen von Anglizismen, mit der man nicht fluchen kann, aber Eichendorff Gedichte geschrieben hat, von denen man Gänsehaut bekommt, Kästner ein Klassenzimmer hat fliegen lassen, Helden sich ein Denkmal bauen und die die Wise Guys zurück verlangen ist nicht altmodisch.

Joanna sagt, Sprachen sind ein Reichtum.
Brian sagt, wir können uns doch alle viel einfacher auf Englisch unterhalten. Das spricht doch jeder.
Eine weitere Sprache ist wie ein neuer Blickwinkel beschreibt Joanna. Man kann Dinge ganz neu und anders beschreiben.
Andere Sprachen verkaufen sich aber nicht mehr, meint jetzt Pierre. Die Amis sind am erfolgreichsten mit ihren Filmen, weil die Englische Sprache überall besser ankommt. Alle jungen Menschen finden das, was aus Amerika kommt cool. Amerika ist cool. Nur noch Amerika kann Kultur exportieren, weil man sie am besten versteht. Deswegen können sie als einziges Land erfolgreich Sprache exportieren.
Was Amerika exportiert ist keine Kultur sage ich, das ist Nonsens. Teenie- College- Komödien, wie wir hunderte hatten, und noch tausende folgen werden, jede Kopie schlechter als ihr Vorgänger, wie satt ich sie doch bin. Ich frage ihn nach der Qualität dieser Filme. Joanna versteht, Pierre und Brian nicht. Spreche ich etwa deutsch?
Es geht hier doch nicht um Qualität, argumentiert Brian. Es geht darum was den Menschen besser gefällt. Qualität ist sowieso für jeden etwas anderes. Für manchen ist Rolls Royce Qualität, für einen anderen Lamborghini.
Es geht mir hier nicht um irgendwelche Marken, es geht mir um ein gewisses Niveau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein gebildeter Mensch sich Big Brother ansieht.
Du würdest staunen, wenn du wüsstest wie viele das tun, wirft Brian ein.
Sie hat schon recht mit dem was sie sagt, kommt Joannas Unterstützung. Die anspruchslose Gesellschaft hat gar keine Erwartungen mehr, so ist man leichter zufrieden zu stellen.
Habt ihr jemals Forest Gump gesehen? Mit einem Sonderschul- IQ vom Präsidenten für den Kriegseinsatz ausgezeichnet, und stolz auf die Verantwortungsvolle Aufgabe als Rasenmäher im Besitz von einem Weltkonzern Apple. Das ist Amerika.
Ja, der amerikanische Traum ist verlockend. Jeder kann etwas werden. Selbst als ungebildeter Bodybilder kann man zu einem schlechten Schauspieler werden und unfähigem Gouverneur.
Und sofort wird Arny verteidigt, als wäre er ihr Blutsbruder. Bodybuilder im Fernsehen? Hat bisher keiner geschafft. Mit einem solch starken Deutschen Akzent sowieso, und dann auch noch einem Namen, der so lang ist, dass ihn sich nicht einmal Stephen Hawkin merken könnte hat er allen zum Trotz sich ganz nach Oben gekämpft.
Ja, in the Land of the Free you can be what you wanna be.
Dass er dem Deutschen Sprachraum nur peinlich ist, und sein Niveau mit jedem Satz, den er von sich gibt sinkt scheint sie nicht zu interessieren, bestärkt sie sogar noch mehr. Vielleicht sollten wir unseren Assi Tony rüber schicken, der schafft es sicher bis zum Präsidenten, oder er wird spontan zum Amerikanischen König gekrönt, denn there's a place where a kid without a cent, he can grow up to be president.
Eine Sprache ist zudem viel einfacher. Schau doch mal hin. In Amerika kamen sie alle zusammen, aus allen Ländern, haben alle alte Last hinter sich gelassen und ganz von neuem begonnen. Sie sind ganz an der Spitze und brauchen unsere Sprachen nicht. Wir schauen von unten auf zu ihnen rauf, wollen so werden wie sie, und so sprechen wie sie. Sie haben es nicht mehr nötig.
In Amerika, lege ich ein, kann man auch von New York bis nach Florida reisen und kann seinen Kaffe immer in derselben Sprache bestellen. Wer von Russland nach Portugal will benötigt mindestens zehn.
Du kannst aber nicht bestreiten, dass die Amerikanischen Marken nicht viel erfolgreicher sind! Und die Prominenten kommen auch alle nach Amerika, oder sie gehen dahin, sonst hätten sie gar keine Chance.
Amerika ist die Bühne, auf der scheinbar jeder zum Star werden kann. Sie sprechen Englisch und schon verschaffen sie sich Gehör.
Sprachen sind ein Teil der Kultur. Eine neue Sprache lernen ist eine neue Kultur erforschen, neue Menschen verstehen. Es ist wie ein neues Instrument. Mit nur einem Instrument kann man keine Symphonie spielen, die Sprachen lassen unsere Welt erst so bunt klingen, gerade in einer Zeit, in der Individualität verloren geht. Die Amerikanische Kultur produziert einen Stereotypen, der wie ein Virus alles gleich grau macht.
Aber wenn ich auch andere Kulturen kennen lernen kann nur mit meiner Sprache, wieso soll ich mir die Mühe machen eine andere zu lernen, fragt Brian, als hätte er mir die ganze Zeit nicht zugehört.
Du verstehst das nicht, weil dir eben diese Erfahrung fehlt, erkläre ich. Du kannst auf deinen Erfahrungen basierend urteilen.
British Empire, a land where the sun never sets, denke ich mir. Was vor ein paar hundert Jahren vielleicht so aussah sollte mittlerweile als Trugschluss bekannt sein. Schon da fielen die Engländer ein, predigten ihre Religion sprachen in ihrer Sprache, und wunderten sich, warum sie keiner verstand. Wunderten sich, warum sie anstatt Statuen Ziegen bekamen (s. R. K. Narayans „A Horse and Two Goats“), und jetzt ist ihr Apfel, der nicht weit vom Stamm fiel dabei, sein „Erbe“
„Weltpolizei- in- the- Name- of- God- spielen” weiter zu führen. Und diesmal scheinen sich einige Briten freiwillig als Sklaven zu melden.
Als Joanna um 5 erste Anstalten mach zu gehen, schließe ich mich ihr an. Ich gebe es auf, sie werden mich nicht verstehen. Auch wenn Amerika sich einen feuchten… um sie schert, werden sie ihnen weiter hinterher rennen. Gelobtes Land!
Auf dem Weg zur U-Bahn meint sie, dass sie auch mehr Eigenbewusstsein von den Londonern erwartet hatte. Wir beide, „old fashiond“ können nicht begreifen, dass alle sein wollen wie Amerika. Joanna vermutet sogar, dass sie vielleicht gar nicht so extrem denken, und uns nur provozieren wollten.

Pierre hatte bevor wir gegangen sind noch einen Witz erzählt: „Wie nennt man einen Menschen der viele Sprachen spricht? – Multilingual. Und einer der zweisprachig ist? –Bilingual.
Ein Mensch der nur eine Sprache spricht? Amerikaner.“ Ich bitte um eure Meinung!!
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Die Party wirkt wie eine Betäubungsspritze, denn mein...
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ps
und das schlimmste.. Was soll ich jetzt immer lesen...
steffen (Gast) - 28. Jan, 02:28

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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