8
Dez
2008

London Transport System

Der dicke Wursthund, klein, weiß, mit kurzem Stoppelfell wühlt sich genüsslich auf dem Sitz neben seinem Glatzköpfigen Herrchen, das mit blutunterlaufenen Glubschaugen neben ihm sitzt und ihm seine Wampe krault. Da soll noch einer sagen, dass an dem Sprichwort mit den Hunden und ihren Haltern nichts dran sein.
Das dicke Tier gähnt und zeigt allen seinen roten Schlund, die Passagiere schauen angewidert weg. Was fällt diesem Penner ein, so was hier suhlen zu lassen, denken alle, zwar nicht laut, aber doch für jeden hörbar. Keiner sagt was, denn Hunde sind in der Tube ja auf den Schoß zu nehmen. Der Hund ist zwar nicht groß aber viel zu fett, dass er ganz auf Herrschens Schoß passen könnte. Die Menschen stehen mit Sicherheitsabstand um ihn herum.
Ich hasse Hunde murmle ich, und ich hasse die Tube.
Wenn man sich mal einen Tag lang vor dem Tageslicht drücken will, muss man nur mal mit der U-Bahn von Bow nach Putney fahren, anderthalb Stunden unter der Erde, der einzige Lichtblick, die an und ausgehenden Neonröhren an der Decke, während man ruckelnd losfährt und genau so ruckelnd zu stehen kommt, und das alle 2 Minuten.
Mich stört der eklige dicke weiße Hund mit dem etwas missratenen Gesicht nur wenig, denn diesmal steig ich nach den ersten zwei Minuten nach dem Ruckelstop wieder aus.
Am Gleis warte ich auf die nächste Tube, die mich nach Bank bringen soll. Eine dunkelhäutige Frau spielt mit ihren Fingernägel neben mir. Klakalakalakalakala… Das kann sie deswegen so gut, weil die Fingernägel ungefähr 20 cm lang sind. Unter dem Arm klemmt eine kleine pelzene Prada- Handtasche, ich stell mir vor wie sie etwas rausnehmen will, sie würde ja schon beim öffnen mit den Nägeln unten an den Taschenboden stoßen. Aber Vielleicht kann sie ihr Handy ja auch mit den Fingernägeln rausfischen. Das tippen dann stelle ich mir noch komischer vor, aber bevor ich mich weiter über sie amüsieren kann und bevor ich auf die alberne Idee komme ihr meinen Nägelknipser zu schenken, steht meine Bahn vor mir. Vorne drauf in Leuchtschrift Central Line und Endstation White City. Super, passt, nehme ich.
Ich habe Glück, und bekomme einen freien Platz auf den abgewetzten roten Sitzbezügen, direkt gegenüber eines notorischen Nasenbohrers, der gerade den Fang seines Lebens zu machen scheint. Seine Sitznachbarn scheinen das gar nicht wahr zu nehmen. Eine Mädchen meines Alters, pummelig und mit sehr vielen Pickeln blättert in einem Celebrity Magazin. Auf dem Cover Eva Longoria, eine, dieser verzweifelten Hausfrauen, soweit bin auch ich informiert, lächelnd und mit glänzender wallender Mähne. Das Mädchen selbst hat verdammt lichtes Haar fällt mir jetzt auf, also eigentlich schon fast ne Glatze. Ich fasse mir selbst an den Kopf, weil ich gerne vor dem Spiegel rumheule, der Meinung alle haben schöneres Haar als ich selbst. Werde ich nie wieder tun, schwöre ich. Der Mann neben dem Schatzgräber ist in sein Buch vertieft, so wie 70 Prozent der täglichen Tubefahrer. Man kann schon fast sagen, dass alle ohne Buch meistens Touristen sind. Ich selber habe „Die Entdeckung der Currywurst“ in meiner Hand, aber die Entdeckungen beim beobachten der Menschen lenken mich manchmal etwas ab von meiner Lektüre.
Ein paar schicke Anzugträger stehen in den Gängen und unterhalten sich angeregt über den Tag im Office, setzen das eine oder andere Streitgespräch fort, oder überlegen sich, wohin es am Casual Friday nach Feierabend hingehen soll.
Es ruckelt, die Passagiere drücken sich Richtung Tür, von beiden Seiten allerdings. „Let Costumers off the train first“ schallt die Durchsage. Immerhin machen Engländer was ihnen die Durchsagen mitteilen.
Es ruckelt erneut, die Bahn fährt wieder los, aber zuerst macht es noch einen Knall, ein paar schauen sich erschrocken um, andere sind schon gewohnt in ihr Buch vertieft, ein paar Passagiere taumeln zwei, drei Schritte, und die Fahrt geht weiter. Es riecht nach Urin und Bier, und ein bisschen nach 3 Tages Festival am letzen Tag. Ein Penner ist eingestiegen, und alle rümpfen die Nase. Sein Parfum verbreitet sich rasch, und man sieht wie die Menschen um ihn, so auch ich versuchen die Luft an zu halten. Sein vermutlich ganzes Hab und Gut trägt er in Säcken auf seinen Rücken gebunden und in der Hand. Er ist dreckig, sein Haar und sein Bart verfilzt.
Als ich mich dann doch für mein Buch entscheide hält die Bahn. Liverpool Street Station. Ich blicke auf, noch ein Halt. Eigentlich. Eine Durchsage, ich hör mit halbem Ohr hin. „Change“ ist alles was ich verstehe weil die Ansagen- Frau so einen schrecklichen Französischen Akzent hat, dass ich zuerst vermute in einer Metro in Paris zu sitzen. Kurz darauf wird die Tube immer leerer. Beim ersten Mal hab ich gewartet, dass es jetzt weiter geht, aber mittlerweile heißt das, dass wir hier rausgeworfen werden, und dass die Gleise aus irgendeinem Grund plötzlich gesperrt wurden. Ich reihe mich in die Lange Schlange an der Rolltreppe um die Linie zu wechseln, renne dann die nächste Treppe wieder runter, weil die Bahn schon da steht und drücke mich durch die Tür bevor sie schließt. Ein paar Männer in Anzug drängeln sich an mir vorbei, um an den Sitzplatz zu kommen. Warum sprechen eigentlich immer alle vom englischen Gentleman?
Wir fahren los, um gleich wieder zu halten. Irgendwo im dunklen. „This Train is being helt to even out gaps in the service.“ Dass nenne ich mal “zu seinem Ruf stehen”. Weil jeder weiß, dass die U-Bahn unzuverlässig ist in London, halten sie vorsätzlich, um für gleichmäßige Lücken und Zuspätkommen zu sorgen. Liebe Deutsche Bahn, nehmt euch doch ein Beispiel!
An der Morgate Station will ich wechseln, nur fährt hier heute den ganzen Tag keine Northern Line, und ich mache mich auf die Suche nach einem Bus zur Old Street.
London Transport, die bringen einen überall hin, manchmal sogar bis zur Verzweiflung.

Count Down

Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort,
hab‘ mich niemals deswegen beklagt.
Hab‘ es selbst so gewählt, nie die Jahre gezählt,
nie nach gestern und morgen gefragt.

Fragt mich einer, warum ich so bin, bleib‘ ich stumm,
denn die Antwort darauf fällt mir schwer.
Denn was neu ist wird alt und was gestern noch galt,
stimmt schon heut‘ oder morgen nicht mehr.
(Hannes Wader)

Während ich mein Zimmer aufräume muss ich schwer gegen den Wunsch ankämpfen, alles einfach in meinen Koffer zu werfen. Vor ein paar Tagen saß ich noch mit Steffen im Hyde Park, und meinte dass ich mir gar nicht vorstellen kann in zwei Wochen schon gar nicht mehr hier zu sein. Dabei bin ich doch erst vor kurzem hier angekommen.
Auf der anderen Seite ist London so klein geworden. Die Leute die ich Tag ein Tag aus sehe sind angenehme Kollegen, teilweise auch Freunde mittlerweile, aber es sind dieselben. Es ist wie in meiner kleinen Heimatstadt, alle kennen sie sich, alles ist Routine.
„Ich will nach Tokio oder so“, hat Sebastian gesagt, und weiter erklärt „Irgendwann wird ja auch London langweilig.“ Für einen der noch nicht hier war, wird das eigenartig klingen, aber er hat schon recht. Außer ich würde meinen Job wechseln, in einen anderen Teil der Stadt ziehen, und für eine vorüber gehende Weile wieder etwas Neues sehn, aber im Großen und Ganzen würde sich wohl kaum was ändern.
Die Tage hier ziehen immer schneller vorbei, die Nächte sind nur halb so lang. Morgens um 5 Stehe ich in Club und verstehe nicht, warum der Großteil schon heim ist, und der Rest auch aufbrechen will.
Im Bus habe ich neulich einen Jungen Studenten aus China getroffen. Er hat mich gefragt was ich hier mache, ich meinte, das weiß ich eigentlich selbst nicht. Er musste lachen, ich glaube er hat mich verstanden. Auf meine Rückfrage hat er dann geantwortet, dass er nicht in China bleiben konnte, da verschwindet man ganz schön schnell wenn man mal das falsche sagt. Wie lange ich hier noch bleibe will er wissen. „Weihnachten“ meine ich. Danach will ich in nach Afrika oder so. Irgendwo hin wo es anders ist als hier. Dann schwärmt er mir von Malaysia. Das Essen schmecke besser, die Sonne scheine heller, und die Menschen seien freundlicher. Vielleicht gehe ich ja nach Malaysia antworte ich ihm darauf.
Gestern hat Maike im Internet gelesen dass in Malaysia einer beim Karaoke erschossen wurde. Seine Mitsinger fanden, dass er das Mikro zu lange für sich selbst beansprucht hatte.
Es ist schon eigenartig, wie ich mich Anfangs nach Bekanntem gesehnt habe hier, und jetzt, wo ich anfange mich aus zu kennen, genau jetzt will ich schon wieder was anderes. Aber irgendwo, wo ich frei singen kann, bitteschön.
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