19
Nov
2008

Ratschläge

Marco stolpert kurz vor 3 in die Küche, in der ich tippend sitze. Erstmal füllt er sein Glas zur Hälfte mit Zucker, bevor er Orangensaft dazukippt und mit einem Suppenlöffel kräftig umrührt. Ich lache ihn aus. „Du bist Zuckersüchtig, kann das sein?“ „Ähm ja, nickt er, Zucker ist lecker!“

„Was hälst du von Arnold Schwarzenegger?“ frage ich interessiert. „Arnold?“ fragt er nach. „Ja, sag mir was du von ihm hälst“. Aber er scheint immer noch verwundert über meine Frage. Ich erkläre ihm die Situation, dass wir gestern eine Diskussion hatten über den Amerikanischen Traum mit unter, und Arnold Schwarzenegger, der diesen Traum lebt. Ob er jemand ist, vor dem er Respekt hat, präzisiere ich meine Frage. „Sonderlich intelligent wirkt er ja nicht gerade, aber vielleicht sehe ich das auch so, weil ich kein Amerikaner bin“, seine Antwort klingt überzeugt.

„Aber zurück zum Zucker“ fährt er fort. Von seinem Neuen Job ist er ganz begeistert, er kellnert in einem der Schicksten Restaurants Londons und hat gestern Jake Gyllenhaal seine Suppe gereicht. „Kannst du Claudia eben einen Kaffee machen?“ fragt ihn sein Chef, und er glaubt seinen Augen nicht, als eine sehr schöne Blonde Frau Ende 30 vor ihm steht. „Ich habe CLAUDIA SCHIFFER heute einen Kaffee gemacht!!!“ strahlt er ganz begeistert. „Sie war ungeschminkt, sie ist in die Jahre gekommen, aber sie ist immer noch sehr sehr Attraktiv“ sagt er bewundernd. „Wie alt ist sie eigentlich?“ „38 sagt Wikipedia“ „Ja, das könnte hinkommen, aber sie ist immer noch sehr hübsch“ wiederholt er sich.
„Wusstest du, dass sie Jura studieren wollte bevor sie Model wurde?“ „Tatsächlich?“ „Ja, steht hier. Hat sich aber dann fürs Modeln entschieden.“ „Ganz schönes Risiko“ nickt er mir zustimmend, ohne dass ich mich dazu äußern muss.

„Marco“ fange ich an, „Drei Verlage haben mein Reisetagebuch angenommen und wollen es eventuell drucken“. „Wow“, meint er, „ du scheinst einiges drauf zu haben“. „Ja, aber ich kann nicht beides studieren. Ich kann nicht Kunst studieren, Lehrer werden und auch Journalismus und Literatur machen. Ich kann mich aber auch nicht entscheiden.
„Ich glaube, Claudia ging es ziemlich ähnlich“, antwortet er.

Die Reise geht weiter

Nichts verschafft mehr Ruhe,
als ein gefasster Entschluss

-Talleyrand-


Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, aber es sind noch viele bis zum Ziel. Keine Landkarte kann uns sagen wie viele es sind, es liegt ganz an uns. Viele laufen los, um dann wieder daheim anzukommen, manche schlagen ganz neue ein. Mein Ziel ist noch nicht in Sichtweite, von meinem Weg sehe ich meistens nur die Stelle, auf der ich stehe, aber wenn ich stehen bleibe, werde ich auf der Stelle gehen, und mich fragen, warum ich nicht weiter komme.
Meine Miete werde ich nicht verlängern. Ich hoffe einen Nachmieter zu finden, ich werde einfach einen Nachmieter finden. Danach will ich durch England reisen. Die letzen Wochen will ich hier durch die Galerien ziehen. Ich will mir und der Kunst noch eine Chance geben. Uns ein paar Mal zusammen ausgehen lassen, sehen, ob wir nicht doch noch neue Seiten aneinender entdecken können, und vielleicht wieder Interesse aneinander finden.

Entscheidungen II

Beobachte die Schildkröte!
Sie kommt nur vorwärts,
wenn sie ihren Hals riskiert
-James Bryant Conant-


Noch exakt einen Monat bis zu meiner Abreise sagt mein Terminplaner. Einen Monat also noch um einen Nachmieter zu finden und eine Entscheidung zu treffen. Eine schwere Entscheidung. Die Kunst aufzugeben.
Ich kann mir jetzt einige entsetze Gesichter vorstellen, und nein, das war jetzt kein Gag um das ganze hier spannender zu machen.
Seit ich hier her kam hat sich einiges geändert. Ich kam hier an, und habe mich weniger fremd gefühlt als in der kleinen Stadt auf der schwäbischen Alb in der ich aufgewachsen bin, wo ich jeden kenne, und wo mich jeder kennt.
Ich wollte noch tiefer in die ganze Kunstspähre eintauchen, aber vielleicht war ich mir damals schon nicht mehr sicher und hab das ganze hier als Bestätigung gebraucht. Ich kann es nicht genau sagen.

Die Menschen die ich hier kennen gelernt habe, die Gespräche die ich hier geführt habe, die Entscheidungen die ich hier getroffen habe, und die Seiten, die ich hier getippt habe, das alles hat mir gezeigt, dass es noch mehr gibt als das was ich kenne, dass ich noch mehr kann, als ich mir zugetraut habe.
Bisher wusste ich von meinem Kunsttalent, und war stolz darauf. Nie habe ich ein Studium in Frage gestellt, nie wurden mir Nächte an der Staffelei lang. Jetzt habe ich das Gefühl, mein Ideenvorrat ist so leer wie die Puppen, mit denen ich hier täglich in der U-Bahn sitze. Als meine Freunde im Sandkasten heute Feuerwehrmann und morgen Pizzabäcker und übermorgen Rennfahrer werden wollten, hab ich mich als zukünftiger Maler vorgestellt. Jetzt will ich Feuerwehrmann, Pizzabäcker und Rennfahrer werden, am besten alles auf einmal.
Alles leuchtet fremd und interessant.

„Fremde Schönheit lockt, nicht weil sie schön, sondern weil sie fremd ist“, mahnt mich Ernst Hauschkas Zitat, das ich mal mit hellblauer Kreide auf meinen Kleiderschrank geschrieben habe.
Könnte ich diese Entscheidung bereuen? Werde ich sie bereuen?
Soll ich „vorsichtshalber“ eine Bewerbungsmappe machen, mich durch ein Selektionsverfahren kämpfen, um am Ende eine der 20 zu sein, die sich gegen die 600 Konkurrenten durchgesetzt hat? Oder es lassen, wie die Schildkröte meinen Hals riskieren, um vorwärts zu kommen, und am Ende das Genick brechen, wenn ich feststelle, dass ich die Zeit zurückdrehen will, und meine Entscheidung rückgängig zu machen?
Ich wollte allein sein, und meine Entscheidungen allein treffen, aber genau jetzt wäre es schön, wenn jemand neben mir wäre und mich einen Moment lang festhalten würde. Sagen würde, bleib mal stehen, schau mal zurück.
Pierre sagt deine Vergangenheit ist eine Last von der du dich am besten immer so schnell wie möglich befreist. Ich kann ihm nicht zustimmen.
Für mich ist Vergangenheit wie ein Keller, wir müssen nicht darin wohnen, aber wir können unsere Erfahrungen und unsere Werkzeuge darin sammeln für Zeiten in denen wir sie brauchen.
Ich will weg von hier. Ich will weiter. Weiterreisen, weiterfragen, weitersuchen.

Abendliche Diskussion II Vom Turmbau zu Babel nach Amerika

Und ihre Sprache
Ist voller Anglizismen
Ja, denn auf Englisch hört sich alles besser an
Beispielsweise geheime Staatspolizei
Heißt in Amerika schlicht und einfach
NSA oder FBI
Und auch ein Wort wie CIA Agent klingt doch echt
Viel eleganter und charmanter als
Folterknecht
-Bodo Watke "die Amerikaner"-

Tausende Sprachen die wir sprechen, die Bibel beschreibt es als eine Strafe für den menschlichen Größenwahn. Amerika hat uns befreit!

Wieder einmal sitzen wir zusammen. Pierre, Brian, Joanna und ich.
Joanna, das ist die neue Praktikantin. Polin, 37. Sie war mir vom ersten Augenblick an sympathisch, als ich feststellen musste dass sie im Gespräch mit Brian nicht weniger auf den Mund gefallen ist als ich es bin. Das heutige Streitthema ist kulturellen Inhalts, und mal wieder klafften die Meinungen auseinander.

Während wir versuchen Joannas Internet zum laufen zu bringen stellt sich heraus, dass sie Deutsch spricht. Genau wie Jonna auch, und Pierre, sowie Brian können nicht verstehen warum man so eine „altmodische“ Sprache spricht.
Meine wunderschöne Muttersprache, etwas zu sehr befallen von Anglizismen, mit der man nicht fluchen kann, aber Eichendorff Gedichte geschrieben hat, von denen man Gänsehaut bekommt, Kästner ein Klassenzimmer hat fliegen lassen, Helden sich ein Denkmal bauen und die die Wise Guys zurück verlangen ist nicht altmodisch.

Joanna sagt, Sprachen sind ein Reichtum.
Brian sagt, wir können uns doch alle viel einfacher auf Englisch unterhalten. Das spricht doch jeder.
Eine weitere Sprache ist wie ein neuer Blickwinkel beschreibt Joanna. Man kann Dinge ganz neu und anders beschreiben.
Andere Sprachen verkaufen sich aber nicht mehr, meint jetzt Pierre. Die Amis sind am erfolgreichsten mit ihren Filmen, weil die Englische Sprache überall besser ankommt. Alle jungen Menschen finden das, was aus Amerika kommt cool. Amerika ist cool. Nur noch Amerika kann Kultur exportieren, weil man sie am besten versteht. Deswegen können sie als einziges Land erfolgreich Sprache exportieren.
Was Amerika exportiert ist keine Kultur sage ich, das ist Nonsens. Teenie- College- Komödien, wie wir hunderte hatten, und noch tausende folgen werden, jede Kopie schlechter als ihr Vorgänger, wie satt ich sie doch bin. Ich frage ihn nach der Qualität dieser Filme. Joanna versteht, Pierre und Brian nicht. Spreche ich etwa deutsch?
Es geht hier doch nicht um Qualität, argumentiert Brian. Es geht darum was den Menschen besser gefällt. Qualität ist sowieso für jeden etwas anderes. Für manchen ist Rolls Royce Qualität, für einen anderen Lamborghini.
Es geht mir hier nicht um irgendwelche Marken, es geht mir um ein gewisses Niveau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein gebildeter Mensch sich Big Brother ansieht.
Du würdest staunen, wenn du wüsstest wie viele das tun, wirft Brian ein.
Sie hat schon recht mit dem was sie sagt, kommt Joannas Unterstützung. Die anspruchslose Gesellschaft hat gar keine Erwartungen mehr, so ist man leichter zufrieden zu stellen.
Habt ihr jemals Forest Gump gesehen? Mit einem Sonderschul- IQ vom Präsidenten für den Kriegseinsatz ausgezeichnet, und stolz auf die Verantwortungsvolle Aufgabe als Rasenmäher im Besitz von einem Weltkonzern Apple. Das ist Amerika.
Ja, der amerikanische Traum ist verlockend. Jeder kann etwas werden. Selbst als ungebildeter Bodybilder kann man zu einem schlechten Schauspieler werden und unfähigem Gouverneur.
Und sofort wird Arny verteidigt, als wäre er ihr Blutsbruder. Bodybuilder im Fernsehen? Hat bisher keiner geschafft. Mit einem solch starken Deutschen Akzent sowieso, und dann auch noch einem Namen, der so lang ist, dass ihn sich nicht einmal Stephen Hawkin merken könnte hat er allen zum Trotz sich ganz nach Oben gekämpft.
Ja, in the Land of the Free you can be what you wanna be.
Dass er dem Deutschen Sprachraum nur peinlich ist, und sein Niveau mit jedem Satz, den er von sich gibt sinkt scheint sie nicht zu interessieren, bestärkt sie sogar noch mehr. Vielleicht sollten wir unseren Assi Tony rüber schicken, der schafft es sicher bis zum Präsidenten, oder er wird spontan zum Amerikanischen König gekrönt, denn there's a place where a kid without a cent, he can grow up to be president.
Eine Sprache ist zudem viel einfacher. Schau doch mal hin. In Amerika kamen sie alle zusammen, aus allen Ländern, haben alle alte Last hinter sich gelassen und ganz von neuem begonnen. Sie sind ganz an der Spitze und brauchen unsere Sprachen nicht. Wir schauen von unten auf zu ihnen rauf, wollen so werden wie sie, und so sprechen wie sie. Sie haben es nicht mehr nötig.
In Amerika, lege ich ein, kann man auch von New York bis nach Florida reisen und kann seinen Kaffe immer in derselben Sprache bestellen. Wer von Russland nach Portugal will benötigt mindestens zehn.
Du kannst aber nicht bestreiten, dass die Amerikanischen Marken nicht viel erfolgreicher sind! Und die Prominenten kommen auch alle nach Amerika, oder sie gehen dahin, sonst hätten sie gar keine Chance.
Amerika ist die Bühne, auf der scheinbar jeder zum Star werden kann. Sie sprechen Englisch und schon verschaffen sie sich Gehör.
Sprachen sind ein Teil der Kultur. Eine neue Sprache lernen ist eine neue Kultur erforschen, neue Menschen verstehen. Es ist wie ein neues Instrument. Mit nur einem Instrument kann man keine Symphonie spielen, die Sprachen lassen unsere Welt erst so bunt klingen, gerade in einer Zeit, in der Individualität verloren geht. Die Amerikanische Kultur produziert einen Stereotypen, der wie ein Virus alles gleich grau macht.
Aber wenn ich auch andere Kulturen kennen lernen kann nur mit meiner Sprache, wieso soll ich mir die Mühe machen eine andere zu lernen, fragt Brian, als hätte er mir die ganze Zeit nicht zugehört.
Du verstehst das nicht, weil dir eben diese Erfahrung fehlt, erkläre ich. Du kannst auf deinen Erfahrungen basierend urteilen.
British Empire, a land where the sun never sets, denke ich mir. Was vor ein paar hundert Jahren vielleicht so aussah sollte mittlerweile als Trugschluss bekannt sein. Schon da fielen die Engländer ein, predigten ihre Religion sprachen in ihrer Sprache, und wunderten sich, warum sie keiner verstand. Wunderten sich, warum sie anstatt Statuen Ziegen bekamen (s. R. K. Narayans „A Horse and Two Goats“), und jetzt ist ihr Apfel, der nicht weit vom Stamm fiel dabei, sein „Erbe“
„Weltpolizei- in- the- Name- of- God- spielen” weiter zu führen. Und diesmal scheinen sich einige Briten freiwillig als Sklaven zu melden.
Als Joanna um 5 erste Anstalten mach zu gehen, schließe ich mich ihr an. Ich gebe es auf, sie werden mich nicht verstehen. Auch wenn Amerika sich einen feuchten… um sie schert, werden sie ihnen weiter hinterher rennen. Gelobtes Land!
Auf dem Weg zur U-Bahn meint sie, dass sie auch mehr Eigenbewusstsein von den Londonern erwartet hatte. Wir beide, „old fashiond“ können nicht begreifen, dass alle sein wollen wie Amerika. Joanna vermutet sogar, dass sie vielleicht gar nicht so extrem denken, und uns nur provozieren wollten.

Pierre hatte bevor wir gegangen sind noch einen Witz erzählt: „Wie nennt man einen Menschen der viele Sprachen spricht? – Multilingual. Und einer der zweisprachig ist? –Bilingual.
Ein Mensch der nur eine Sprache spricht? Amerikaner.“ Ich bitte um eure Meinung!!
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und das schlimmste.. Was soll ich jetzt immer lesen...
steffen (Gast) - 28. Jan, 02:28

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