6
Jan
2009

Abschied

Ein eisiger Wind bläst mir um die Nase, also wir morgens gegen sieben Uhr das Factory verlassen. Die letzte Nacht hat traditionell im Traffic begonnen, mit Eva, Birgit und Claus, jetzt sind noch Maike, Sebastian, Steffen und Okan übrig geblieben.
Die frische morgendliche Luft lässt mich ganz schnell wieder wach fühlen, ich hätte die Party noch gut 3 Stunden weitergehen lassen können. Tschüss sagen will ich gar nicht. Sebastian umarmt mich, hebt mich hoch und sagt „Tschüss, gude Maus“, Steffen meint, er sei mir böse wenn ich mich nicht noch im Januar wieder blicken lasse. Aber ich weiß, warum ich zögere. Ich fürchte, dass der Zauber dieser Stadt beim nächsten Mal nicht mehr da sein wird.
Ich umarme beide noch einmal, und am liebsten würde ich ihnen noch 5 mal „Auf Wiedersehen“ sagen, nur um Zeit zu gewinnen, es ist einfach so eigenartig sich zu verabschieden und zu gehen, ohne zu wissen was jetzt kommt. Aber die beiden müssen jetzt auf ihren Bus. Okan, Meike und ich laufe zur U-Bahn weiter. Nach 3 Stationen springe ich raus, nachdem ich die beiden auch ganz schnell umarme und „tschüss“ sage, und „bis bald.“ Bis wie bald?

Als mich die U-Bahn ausgespuckt hat stehe ich allein am Gleis. Es ist ganz still. Jetzt bin ich ganz allein hier in London, im Grunde das allerletzte Mal.
Eine Ladung Schwermut drückt mir auf die Brust, und ich atme tief ein, und tief aus, wie vor 3 Monaten noch auf der Millenuim Bridge. Nur war ich damals eine andere. Damals war ich eine Neue, eine Fremde. Jetzt bin ich eine Angekommene. Hier in London, das waren die bislang spannendsten Monate meines Lebens. Und ich kann es noch gar nicht Recht begreifen, dass das JETZT vorbei ist.

Ich würde gerne diese Stadt umarmen, würde gerne sagen „Vielen Dank, London, für alles was ich bei dir gelernt habe. Danke für das unverschämte Glück immer wieder, und dass ich nicht nach 4 Monaten meinen Führerschein schon wieder als verloren melden musste. Danke, dass ich nicht zu oft verschont wurde vom Leben. Danke, dass ich 3 Monate lang morgens aufstehen durfte, in voller Vorfreude auf den Tag und im vollen Bewusstsein meines eigenen Lebens und meiner eigenen Emtscheidungen.
Danke für die Bekanntschaften, und die Freunde. Danke euch Mädels Annika und Angie, und eurer Kompanie Caron, Blanca, Nina, Gordon, Dimi, Demian und Jason. Danke für die geselligen Abende!
Danke für Toni Spaghetti, und Danke, dass ich da nicht mehr bin.
Danke für Pierre und Cloey, seine Freunde und seine Besucher. Danke für den Besuch im Parlament und die Tower Bridge, die Tagelang mein Weg zum Atelier war.
Danke fürs Beerhouse und die verrückten Nächte mit den versoffenen Engländern, die ich mit meinen Dirndl Kolleginnen abfüllen und mit ihnen feiern durfte. Danke für meine Jungs hinter der Theke, und die Mannschaft in der Küche, dank der ich nie hungern musste. Ihr seid für die 7 angefutterten Kilo verantwortlich, meine Lieben! Danke Sebster, Birgit, Tom, Steffen, Eva, Claus, Jörg und allen anderen für die schöne Zeit.
Danke für die Wohnungssuche und mein Zimmer in Bow. Danke für die Parks. Danke, dass weder meine U-Bahn noch mein Bus explodiert ist.
Danke, für meine Chaotische WG, für den schweigsamen Minh, dem meine Kinder irgendwann danken dürfen, weil sie keine Play Station bekommen. Den verpeilten Riccardo, der mir gezeigt hat was es wirklich heißt für die Kunst zu leben, den chaotischen Marco, mit dessen Ankunft mein einsames Frühstück ein Ende fand, den vernünftigen Andrea, der als einziger neben mir den Müll raus gebracht und den Boden gewischt hat, und für den gemütlichen Filipe und seine Cornflakes, an denen ich mich manchmal heimlich bedient habe.
Danke für das Regenwetter( ja ehrlich, ich habe sogar gelernt fünf Tage Niesel-Grau auszuhalten!) und danke für die Sonnenstunden, vor allem die morgens, wenn meine Partynächte zu Ende waren und die Stadt noch ganz still vor sich hin schlief. So wie jetzt, während ich gedankenverloren die Rolltreppe hoch fahre.

In Bow aus der U-Bahn raus, ziehe ich eine Karte aus meiner Handtasche. Sebastian sitzt noch im Bus, als ich ihn erreiche. „Dann bekomme ich wohl eine aus Deutschland“ sagt er. „Ich schreib dir die Adresse im Facebook.“
Ich ziehe den Jackenkragen hoch. Die Sonne ist wie so oft bereits aufgegangen. Jetzt laufe ich das letzte Mal die Alfred Street entlang, vorbei an dem Kiosk, an dem ich den überteuerten Tee gekauft habe, und dem umzäunten Pausenhof, biege das allerletzte Mal in die Malmesbury Road ein, nehme den Schlüssel, den Andrea in den Stromkasten gelegt hat, und schließe das allerletzte Mal die braune Holztür auf, die sich leise quietschend öffnet.
Ich bin todmüde, aber stolz. Stolz auf mich.
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