28
Jan
2009

Auf deutschem Boden

Die ersten vertrauten Gesichter in die ich schaue sind die meiner Eltern. Müde falle ich ihnen um den Hals. Jetzt wäre ich also wieder on Deutschland. Komisches Gefühl. Als ich hier vor drei Monaten stand war die Weihnachts- Deko noch nicht angebracht fällt mir auf. Es ist wenig los am Stuttgarter Flughafen. Vom Flug habe ich nicht sonderlich viel mitbekommen, selbst meine Flugangst ist weggeblieben. Ebenso apathisch klettere ich ins Auto.
Irgendwann werde ich dann aber doch munter, und kann mein Geplapper gar nicht bremsen. Zuviel habe ich erlebt. Ich schicke letzte „Gut zu Hase angekommen“- SMS nach England, ein Freund ruft an und fragt ob ich mit zum Karaoke kommen will heute Abend.
Daheim angekommen lässt die Umarmung meinen Bruder zwei Schritte zurück taumeln. „Du brauchst ne Dusche!“ lacht er. Und auch ich kann es gar nicht erwarten endlich aus den vielen Kleidern raus zu kommen, und mich frisch zu machen. Aus der Dusche raus erwartet mich eine angenehme Überraschung. Meine Mutter hat auf meine Bitte hin das gekocht, was ich in England am meisten vermisst habe: Gemüsesuppe.

Nach dem Essen sitzen wir alle noch eine ganze Weile beisammen. Das Thema, was bei mir als nächstes kommt wird nicht ausgelassen. Nicht dass meine Eltern eine Entscheidung erwartet hätten, sie wussten über meinen Zukunfts- Konflikt ja auch bescheid, aber plötzlich wusste ICH es. Und als wäre es schon immer das Selbstverständlichste gewesen, verkünde ich, dass ich mich bewerben will...

Schalter, Pech und Pannen

Der unfreundliche Mann am Schalter (ich betone deswegen, weil das hier Voraussetzung ist; solltet ihr euch mal um einen Schalterjob in England bewerben, fügt bei, dass ihr unfreundlich seid, das gibt Pluspunkte!) nimmt die 17 Pfund für das Ticket entgegen und reicht mir meinen Fahrschein. Annika wird ein letztes Mal gedrückt, ich danke ihr für alles und sie antwortet ich solle bald wieder vorbei schaun. Auf meiner To- Do Liste für die nächsten beiden Monate steht das ganz oben.
Der Zug rattert los. Meinen Kleintransporter hab ich in dem Teil des Zuges verstaut wo die Türen sind. Um durch den Gang zu passen bräuchte er eine einjährige Mitgliedschaft bei Weight Watchers.
Jetzt sitze ich ganz allein im Zug. Ich schäle meinen Kleiderschrank von mir und bin überrascht dass mir das in 5 Minuten gelingt. Jetzt fühle ich mich immerhin ein Stück erleichtert. Theoretisch könnte ich ein bisschen schlafen oder die Erlebnisse noch mal Revue passieren lassen, aber ich bin zu aufgeregt um mich zu entspannen und zu müde um denken zu können. Und klar, ein bisschen Wehmut ist dabei. Eigentlich ein ganzer Brocken davon.
Am Flughafen angekommen lässt London noch ein letztes Mal grüßen. Ich hatte vergessen dass ich noch an einem letzen Schalter vorbei muss: dem Check- In.
„That’s too much, you have to split it“ sagt die Dame kühl. Die Waage sagt 36 Kilo. „I’m sorry, I don’t understand.“ Dasselbe Gewicht wie beim Hinflug. „Maximum 34 kilo, you have to split it.“ Aha! Schon eine Information mehr! Mein Koffer ist 2 überaus unverantwortliche Kilo zu schwer. Ich brauche ein weiteres Gepäckstück. „I don’t have any bag.“ „I don’t care you have to split it.“
Benni und sein Arbeitskollege, die in der Schlange hinter mir stehen und in einer Stunde nach Köln fliegen bieten mir ihre Hilfe an. Sie beide waren, wie sie mir bereits während wir anstanden erklärt haben, geschäftlich ein paar Tage in London. „How much time do I have?“ wende ich mich an den despotischen Schalterdrachen, um zu erfahren, dass ich in den nächsten 12 Minuten eingecheckt haben muss. Ich lasse also mein Köfferchen bei den beiden Kölnern stehen, und renne los. Den Kleiderschrank wohl gemerkt wieder angezogen…
Trollis und Schalenkoffer in bunt und schwarz sind ausgestellt und warten auf einen neuen Besitzer. Und wählerisch sind sie! Der Käufer sollte nämlich reich sein, zumindest bis er sie sein Eigen nennen kann. Hundert Pfund aufwärts kosten die Dinger. Da bekomm ich die ja bei Europe Home Shopping günstiger, und wahrscheinlich noch ein Beauty Case kostenlos dazu.
„How can I help you Darling?“ fragt die ältere Dame hinter der Kasse. Jetzt weiß ich also auch warum sie hier Koffer verkauft und nicht am Check- In Schalter steht. „What ist he biggest cheapest bag you have?“ frage ich, worauf hin sie mir ein schwarzes Mäppchen unter die Nase hält. „Oh no! I need a big one to check in!“ erkläre ich ihr, und sie zieht es mit den Worten „it’s huge“ auseinander, und das kleine schwarze Mäppchen verwandelt sich vor meinen Augen in einen riesengroßen schwarzen Müllsack mit Henkeln und Reisverschluss! Den Sack, der von 16 Pfund auf 8 runtergesetzt war, klemme ich mir unter den Arm, kämpfe mich durch die Menschenmassen in der Halle, reiße den Koffer einweiteres mal auf und stopfe wahllos Pullis, T- Shirts, eine Decke und Schuhe in meine neue schicke Tasche. Dann drängle ich mich in der Schlange am Schalter ganz nach vorn (die Engländer behaupten eh immer, dass wir Deutschen das so gut können, das ham se nun davon) lade Koffer und Tasche drauf und frage, was ich denn für das Übergepäck zahlen muss. „Nichts“ antwortet mir die Dame. Vorerst fehlt mir aber die Energie mich zu freuen. Später erfahre ich, dass das Flugzeug ohne hin nur halb voll war, und in solchen Fällen Germanwings sehr kulant ist.
Nachdem ich wegen der Metallknöpfe an meiner Jacke komplett abgetastet und durchleuchtet wurde erzählt mir mein Flugnachbar, dass sein Koffer mir 36 Kilo problemlos durchging. Und während wir im Sonnenuntergang die Startbahn entlang fahren schlafe ich endlich ein.

Alles Easy

Die Party wirkt wie eine Betäubungsspritze, denn mein Gehirn arbeitet komplett gar nicht mehr. Ich schrecke hoch, als mein Handy piepst und Annika schreibt, dass sie sich zum Brunch verspätet. Für 10 min war ich wohl im absoluten Tiefschlaf. Vorsichtshalber stelle ich mir den Wecker und öffne mein Zimmerfenster. Kühle Luft kommt herein, macht mich aber nicht wacher. Der starke Kaffee schmeckt bitter und ich beginne zu frösteln. Mit der Zahnbürste bekämpfe ich halbwegs erfolgreich das tote Tier in meinem Mund und kippe 2 Gläser Wasser nach.
Da fällt mir ein, dass ich besser die letzen Pfundscheine in meinem Portemonnaie gegen die Euro Scheine im Koffer austauschen sollte, aber in meiner zweiten Brieftasche befinden sich nur weitere Pfund. Wie kann das sein? Der schmale Stapel sind niemals die Kaution, und wo ist mein deutsches Geld? Mein Herz beginnt zu rasen, und kalt ist mir plötzlich auch nicht mehr. Ich konnte letzte Nacht meine Zimmertür nicht mehr abschließen, aber ich dachte nicht, dass sich einer an meinem Koffer zu schaffen macht! Ich würde am liebsten losheulen, das darf doch nicht wahr sein! Und schon fliegt mein Gepäck wie in einem Krieg durch das Zimmer. Nein, lass das Geld da sein! Was mache ich jetzt? Papa anrufen? Was kann der schon machen?! Aber einen Rat hat er vielleicht. Sollte ich nicht langsam meine Probleme selber lösen können? Hirngespinste rasen durch meinen Kopf, sodass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Ich durchwühle mein Handgepäck, und die Tasche, die ich gestern bei Pierre noch bei mir hatte. Und plötzlich halte ich ein weißes Couvert in meiner Hand. Deposit steht drauf. Wie kann man nur so bescheuert sein atme ich erleichtert auf. Aber was ist dann mit den Euroscheinen? Ich nehme die Brieftasche erneut in die Hand, und ziehe vorsichtig den kleinen Reisverschluss an der Seite auf. Ich könnte heulen vor Erleichterung. Sitze da, inmitten einem Kleiderchaos mit dem Geld in der, Hand, total benommen und verwirrt.
Während ich, immer noch bala bala in der Birne bin, versuche ich die Sachen wieder ordentlich in den Koffer zu packen, setze mich drauf und versuche mich noch etwas schwerer zu machen. Der Reisverschluss protestiert, gibt aber letztendlich bei und lässt sich schließen.
Nachdem mein Puls wieder unter 200 gesunken ist, spüre ich wieder den Schlafmangel eiskalt meinen Rücken hoch kriechen.
Um Platz im Koffer zu sparen hab ich ein ganz schlaues System des Gepäcktransports ausgeklügelt und ziehe über meine Leggins eine Röhrenjeans und dann eine etwas weiter geschnittene Hose an. Über das Unterhemd ziehe ich ein T-Shirt, und ein weiteres Shirt mit langem Arm. Dann schlupfe ich in einen langen Strickpulli mit Rollkragen und ziehe mir einen noch dickeren Pulli über. Perfekt und ungefähr 5 Kubikzentimeter an Platz gespart. Nur frieren tu ich- im Moment- immer noch.
Als Annika endlich eintrifft bin ich dabei mit den zweiten Kaffee zu machen, überlasse diese Aufgabe allerdings ihr, und verschwinde noch einmal schnell in den 24 Stunden Somerfield, um frische Brötchen zu holen. Wir klauen uns Marcos restlichen Eiervorrat, machen uns ein Jumborührei und auch mein Magen beginnt jetzt, sich besser zu fühlen.
Nachdem Teller und Töpfe- ach bin ich gewissenhaft- nach dem Frühstück gespült sind, und wir auch noch den letzen Kaffe versorgt haben, scheitern wir fast am nächsten Punkt der Tagesordnung…Meine Bettwäsche, die ich Annika überlassen wollte will nicht in ihren Mini Trolli passen, den sie hierfür extra mitgebracht hat. Mit quetschen und drücken lösen wir das Problem, restliche Erbstücke müssen jetzt allerdings in die letzen Plastik Somerfield Tüten weichen. Unser Gepäck Haufen sieht aus wie das Heim eines Obdachlosen. Das uns umhängend und hinterher ziehend machen wir los zur Liverpool Street Station. Wir laufen die Malmesbury Road runter. Jetzt würde ich gerne schreien „STOP! Das geht mir hier alles ein bisschen zu schnell!!“ Ich kann nicht einfach weiter laufen und meine erste kleine Wohnung ohne ein Tschüss zurück lassen. Aber das Gewicht meines Gepäcks, das sich alle hundert Meter verdoppelt, lässt mich gleich auf andere Gedanken kommen. Wieso wurde ich nicht als Paris Hilton geboren? Dann hätte ich allerhöchstens einen Chiuaua in meiner Prada Handtasche, und selbst bei London Nebel eine Sonnenbrille auf und den Rest würden meine Bediensteten übernehmen. Ich schiebe, ziehe und drücke, bleibe an jedem Bordstein hängen, heule, fluche, jammere und klage. Immerhin findet sich ein netter junger Mann, der meinen Koffer die Treppen der Station runter trägt. Glück gehabt!
Ein Glück habe ich mir meine Zeit auf Empfehlung meines Vaters sehr großzügig eingeplant, wir hinken nämlich jetzt schon leicht hinterher.
Eine weitere Lektion erfahren wir an der Station angekommen, als ich hilflos an den 5 Stufen der großen Bahnhofshalle stehe und ein Pulk von 10 Polizisten mit neongelben leuchtenden Hemdchen sich weigert mir seine Hilfe anzubieten und meine theatralischen Versuche bei denen ich fast zusammen breche amüsiert beobachtet bis ein anderer netter Londoner mir seine Hilfe anbietet.
Jetzt nur noch das Ticket schnappen und auf in den Zug. Das Ticket… Wo war es gleich noch mal… Wenn mich in solchen Situationen etwas zur Weißglut bringen kann, dann ist es meine eigene Verwirrt- und Verplantheit. Ich muss mir in Deutschland eine Selbsthilfegruppe suchen, oder am besten gründe ich sie gleich selber „Wie meistere ich mein Leben, wenn ich mir andauernd selbst ein Bein stelle?“
Den Koffer weit offen, Ach! - was ein Anblick, knie ich neben meinem Trolli und wühle. Schöne Scheiße.
logo

The best dog is a Hot Dog

Praktikum in London

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

und so gehts weiter...
http://eddigoesuniversity. twoday.net
EddiinLondon - 18. Mär, 17:56
Auf deutschem Boden
Die ersten vertrauten Gesichter in die ich schaue sind...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:40
Schalter, Pech und Pannen
Der unfreundliche Mann am Schalter (ich betone deswegen,...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:37
Alles Easy
Die Party wirkt wie eine Betäubungsspritze, denn mein...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:36
ps
und das schlimmste.. Was soll ich jetzt immer lesen...
steffen (Gast) - 28. Jan, 02:28

Links

Suche

 

Status

Online seit 5706 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren