25
Okt
2008

Thank you for drinking with Deutsche Bank

In der U-Bahn sitzt ein Mann im grauen Anzug neben mir. Er hat eine Glatze und riesige Hände. Ein bisschen sieht er aus wie die Zeitfresser aus Michael Endes „Momo“. Wie die meisten hier liest er die kostenlose Zeitung. Ein Bericht zeigt ein unschönes Foto und ist über einen in Afghanistan umgekommenen Soldaten. Ich schiele ihm über seine Schulter und versuche während der holprigen Fahrt mit zu lesen. Pierre meinte vorhin noch, dass im Osten nur deswegen Krieg geführt werden kann, weil unsere Regierungen diese Länder unterstützen. Sind wir dann also mit Schuldig? Der Freund, der bald auch da hin soll, ist gerade mal 19. Zu jung für irgendwelchen Krieg. Eigentlich hat niemand das richtige Alter für Krieg. Ich weiß, dass London auch nicht gerade der sicherste Ort ist. Manchmal überlegt man sich schon, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist in einer explodierenden Bahn zu sitzen, und was man dann tut. Wahrscheinlich gar nichts mehr.
Wie gelähmt sitze ich da und verpasse fast die Old Street Station. Gerade noch rechtzeitig springe ich auf und ziehe meine Tasche durch die sich bereits schließende Tür.
Im Beerhouse interessiert sich keiner für den Krieg (obwohl doch einige Britische Soldaten dort sind). Die anwesenden Gäste sind bereits dabei sich ihren Rausch anzutrinken. Ich habe heute die Ehre die Englischen Mitarbeiter der deutschen Bank zu bedienen, die auf Empfehlung ihrer einzigen deutschen Kollegin zuerst nur Munich Lager trinken, später nur noch „any Beer“ bestellen.
Begeistert vom Jägertrain (die Jägermeistergläserstehen auf dem Rand der Bullgläser und fallen, sobald man das erste antippt wie bei Domino Day der Reihe nach um), Vodka Brause und Berenzen Saurer Apfel, bin ich wür sie die kleine Glücksfee im Dirndl, die ihnen heute zu mehr Teamwork verhilft als in jeder geschäftlichen Sitzung. Bald gehöre ich mit dazu, und werde fleißig eingeladen. Irgendwann merke ich dass es genug Schnäpse waren, und muss mich ganz schön zur Wehr setzen, die besoffene Posse schicker Anzugträger nimmt es mir fast persönlich, als ich sage dass ich weiterarbeiten muss.
Ich will mit keinem meiner Gäste tauschen, ich mag das Beerhouse, die Trinker tun mir allerdings leid.
Ganz nebenbei bin ich wirklich stolz sagen zu können, dass ich auch finanziell it meinem Teilzeitjob auf eigenen Füßen stehen kann. London kann einen ganz schön schnell erwachsen werden lassen.
Nach meiner Schicht nehme ich den ersten Bus nach Hause. Freitagabend, halb 3, aber doch ziemlich müde komme ich daheim an. Oh ja, viel zu schnell erwachsen.

Zauberlehrling

Nachdem meine Glückssträhne im Beer House eine Fortsetzung fand (Irgendjemand hat meinen Führerschein, den ich nach einer Knepientour als vermisst melden musste, gefunden, und in die Kasse gelegt), hat sich auch mein bisher sturer Funkwecker geschlagen gegeben. Einen Monat lang habe ich jetzt versucht das Teil auf englische Zeit zu programmieren- vergeblich. Als ich es aufgegeben und eingesehen habe, dass wir immer eine Stunde früher haben als mein Wecker sagt, hat sich das Ding jetzt von ganz allein umgestellt. Ohne jede Vorwarnung zwar, aber immerhin. Das hatte jedoch die unschöne Folge, dass ich gestern Morgen nichts ahnend so lange unter der Dusche stand und ausgiebig gefrühstückt habe, dass ich, geschockt von der Übereinstimmung von Armbanduhr, Handy und Laptop Zeitangabe nach Tower Hill gehetzt bin- mit einer ganzstündigen Verspätung logischer Weise.
Macht nichts, Künstler sind flexibel, und ich selber konnte die Zeit dann doch aufholen, die zu nähenden Teile liefen durch die Nähmaschine, aussortieren musste ich keine mehr, nur Pierre musste mir hin und wieder den von unten kommenden Faden wechseln, wenn die Spule leer war. Am Nachmittag waren alle fertig, und ich hatte schon neue Ideen für weitere Arbeiten.
In der Galerie fühl ich mich so ein bisschen wie ein Zauberlehrling. Pierre, Mitte 40 wie er sagt (ich weiß nicht wie viel man den Altersangaben von Künstlern glauben kann) ist halber Persier und halber Franzose, und hat so seine ganz eigene Mentalität. Im Iran geboren und Frankreich aufgewachsen kam er irgendwann nach Amerika. Nach einem abgebrochenen technischen Studium hat er irgendwann begonnen in New York Modedesign zu studieren und in dem Gebiet einige Jahre gearbeitet. Er scheint viel rumgekommen zu sein, erzählt von Indien und Japan. Nachdem es ihn dann zuletzt nach London verschlagen hat, lebt er hier in diesem Kellergewölbe unter der U-Bahn, zusammen mit seiner Katze Cloey in seinem Atelier, macht Lichtinstallationen, Kleider, malt und verkauft zahlreiche Werke anderer Künstler und Designer. Lehrlinge hat er hier scheinbar andauernd, aus allen möglichen Ländern, die manchmal 2 Wochen bleiben, manchmal auch 9 Monate, einige werden später sehr erfolgreich, andere bestimmt auch nicht. Er lässt sich wie ein Kind von fast allem beeindrucken, und sagt sehr oft „Beautiful“, staunend wie jemand der gerade sein erstes Wort sagt, und davon selbst ganz fasziniert ist.
Fast zu spät merke ich, dass ich mich auf den Weg ins Bierhaus machen sollte, im Atelier kann man ganz leicht die Zeit vergessen…

A Long Way Home

Er strich das weiße Tischtuch glatt
Und blickte in das Glas.
Fast hatte er das Leben satt.
Was wollte er in dieser Stadt,
in der er einsam saß?

Da stand er; in der Stadt Berlin;
Auf von dem kleinen Tisch.
Keiner der Menschen kannte ihn.
Da fing er an, den Hut zu ziehen!
Not macht erfinderisch.

(„Sozusagen in der Fremde“, Erich Kästner)


Während ich heute Morgen noch unter der Dusche stehe und mir das heiße Wasser über den Rücken laufen lasse, gehen mir die letzen Tage noch mal durch den Kopf…

Direkt am Tag nach meiner Pleite starte ich einen zweiten Versuch. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir, das Wetter ist unverändert grau, meine Stimmung unverändert unmotiviert. Deshalb brauche ich noch, trotz aller guten Absichten den halben Tag um mich auf den Weg zu machen.
Tippend verbringe ich den Vormittag in der Küche. Später schaut Philipp kurz vorbei, er soll übermorgen im Beer House anfangen und wir verabreden uns für den morgigen Nachmittag, um gemeinsam hin zu fahren.

Nach weiteren vertrödelten Stunden ist es bereits halb 4 und ich sollte wirklich los. Zeitdruck ist meine einzige Motivation wie es scheint, denn ich will nicht 5 Minuten vor Ladenschluss auftauchen.

Als ich die Tube bei Tower Hill erneut verlasse, sagt mir mein Gefühl, ich hätte besser zu Hause bleiben sollen. Heute ist kein Tag um unter Menschen zu kommen.

Es windet schrecklich und ich klappe meinen Jackenkragen hoch, während ich mich durch die ganzen Touristen kämpfe, die sich Fotos knipsend auf der Tower Bridge tummeln und scheinbar alle Zeit der Welt haben.

Pierres Galerie winkt mir schon mit der bunten Fahne, als ich in die Crucifix Lane einbiege. Ich öffne die riesige Glastür und betrete das Kellergewölbe. Die Atelier-Galerie, die sich unter der U-Bahn befindet wirkt wie eine Höhle. Ein Zug rattert über meinen Kopf und es dröhnt. Aus einem Player kommt Frank Sinatra, und es ist gemütlich warm.
Durch den Raum verläuft ein Catwalk, auf dem Uhren und Taschen ausgestellt sind. An langen Stangen hängen Kleider, darüber an den Wänden Bilder. Auf einem Podest neben der Tür liegen Kissen. Obwohl es draußen bereits zu dämmern begonnen hat ist die Galerie von den vielen bunten Lampen die von der Decken hängen schön hell. Auf dem Tisch in der Mitte des großen Raumes liegt eine Katze, die schläft.
Pierre kommt aus dem Hinterzimmer. Natürlich erinnert er sich nicht an mich. Ich war nur eine Touristin, die einmal vor ein paar Jahren in seine Galerie gestolpert ist, in London verlaufen und von dem bunten Schaufenster angezogen. Immerhin ehrlich genug, um zu den Bildern (Moderne Kunst „Kleckserei“), die für n paar Hunderter oder Tausender zu erwerben waren, Stellung zu nehmen. Noch nicht mal die Schule abgeschlossen habe ich ihm erklärt kein Geld für etwas aus zu geben, dass ich selber mit verbundenen Augen oder im Vollrausch machen kann, woraufhin er mit eine leinwand gegeben hat. „Bitteschön, mach selbst“.
Das Resultat, ein genau so schreckliches Gekleckse sollte in der Galerie bleiben und einen neuen Besitzer finden.
„Hello“ begrüßt er mich. „You can touch everything you like, take a picture, everything’s for sell…“ „…Except the Cat“ beende ich den Satz für ihn.
Ob ich schon einmal hier gewesen war, fragt er, und ich erzähle ihm von meinem Besuch vor 2 Jahren, als ich mich in die Stadt, die mir die letzen Tage ganz schön auf die Nerven gegangen ist verliebt habe.
Er bietet mir einen Stuhl an, und ich erzähle ihm von meinem Vorhaben, hier in London mehr über Kunst und das Künstlerdasein zu erfahren, und dass ich dafür mein altes Praktikum beendet habe.
Wir sitzen lange zusammen und plaudern über Kunst, Mode und Musik.
Auf dem Weg zurück an die Station kann ich gar nicht glauben, dass ich morgen wieder kommen kann. Einfach so, Ohne Lebenslauf und bewerbungschreiben, ganz abgesehen von Zeugnis oder Empfehlung..
Für einen Moment halte ich es sogar für ein Missverständnis. Sicher hat mein Englisch mir einen streich gespielt und ich soll morgen kommen um die Fenster zu putzen.
Die Tower Brige ist immer noch voll mit Touristen. Das Hafenviertel bunt beleuchtet und auch der Tower zu meiner Linken sieht im Licht eher aus wie ein Schloss als wie ein Gefängnis.
Ich fühle mich wie ein kleines Kind, dass so hoch schaukelt, dass es weiß, eigentlich keine Kontrolle mehr über die Schaukel zu haben. Es ist ein verdammt gutes Gefühl sich überwunden zu haben, und etwas zu tun, das man sich zuerst nicht zugetraut hat.
Steffen der mich fragt, ob wir uns nicht noch treffen wollen sage ich sofort zu. Heute will ich unter die Leute, heute muss gefeiert werden. Als ich abends in der leeren Wohnung ankomme fühle ich mich endlich wieder alles andere als allein!

Am nächsten Morgen verschlafe ich erstmal dicke, aber Pierre stört es gar nicht. Ich bin selber überrascht, endlich mal so gut geschlafen zu haben, die letzen Tage bin ich immer zu früh aufgewacht.

Während wir uns Fotos von meinen Arbeiten ansehen und bei Zeichnungen stehen bleiben, die im Sommer in der Autowerkstatt eines Freundes entstanden sind, in der ich ich auch gelernt habe Reifen zu wechseln (Danke Puiu und Sergej ;-) )fragt er mich ob ich das auch aus Stoff machen kann, und ehe ich mich versehe sitze ich, Urenkelin, Enkelin und Tochter von Schneiderinnen das erste Mal in meinem Leben an einer Nähmaschiene.
Anfangs reißt der Faden alle paar Minuten, aber ich schaffe es überraschend schnell eine gerade Linie zu nähen. Trotzdem muss ich andauernd auftrennen, neu nähen oder ein paar Stücke in den Müll wandern lassen. Aber es macht nicht nur richtig Spaß, ich habe auch seit Ewigkeiten endlich wieder das Gefühl, etwas nützliches zu lernen!
Nach den 5 fertigen Teilen am Abend ergibt meine Hochrechnung zwar eine Woche (dass ich mit etwas Übung schneller werde mit eingerechnet), aber das ist mir egal. Meine Neigungsabhängige Super Motivation hat zugeschlafen, und ich könnte die ganze Nacht durchnähen!
Am Abend kann ich auch ganz stolz meiner Mutter von meinem Tag berichten, heute kam das Festnetztelefon und das eigene Internet an.
„Musstest aber ganz schön weit fahren, um das zu lernen“, meint sie zu meiner Neuesten Mission, und ich gebe ihr Recht, und Demjenigen, der mal gesagt hat „It’s a long way home“.

Vom Regen in die Traufe

Why does it always rain on me?
Is it because I lied when I was seventeen?
Why does it always rain on me?
Even when the sun is shining
I cant avoid the lightning
I cant stand myself
Im being held up by invisible men
Still life on a shelf when
I got my mind on something else
Sunny days
Where have you gone?

(“Why does it always rain on me”, Travis)

Die letzen Tage war ich müde. Mittags bin ich aus dem Bett gekrochen, um mich nach dem Frühstück fast wieder zu entscheiden zurück unter die Decke zu kriechen, und da zu bleiben. Für den Rest des Tages. Das Haus verlassen schien mir auch keine nützliche Idee, nachdem ich meine Monatskarte verloren hatte, und vorerst die Fahrten alle einzeln bezahlen musste, und das hab ich ja sowieso gar nicht eingesehen.
Immerhin hab ich mich in der Küche nützlich gemacht, aber nachdem das Geschirr gespült war saß ich wieder da. Was jetzt? So verschwanden nach und nach auch die letzen Kinder Schoko Riegel, die Gemüsesuppe, und was ich sonst noch zum essen hatte. Danach hab ich neue Schokoriegel gekauft. (Mein Gott, ich klinge ja wie Bridget Jones!)
Zur Ablenkung hab ich versucht in ein Pub zu gehen, aber als ich die ganzen besoffenen Engländer gesehen habe, ist mir schließlich auch die Lust zum trinken vergangen.
Draußen war es Grau und kalt, und selbst wenn die Sonne schien, fand ich das Wetter scheiße. Den Knoblauchdunst in den Bussen, an dem man erkennt dass man jetzt in Eastern London ist fand ich plötzlich total ekelhaft, und den Obdachlosen, der hier immer an der Straßenecke steht, dem ich letztens noch meine 30 Pennys Klogeld in seinen Hut geworfen habe, dass er sich mal in der Liverpool Street Station waschen kann, hätte ich fast mit „Such die doch n Job du Penner!“ angeschrienen. Und den Engländern hab ich nur mit sehr viel Selbstdisziplin verschwiegen, dass sie sich besser mal den Stock aus ihrem royalen Arsch ziehen sollten. Sowieso wird hier jeder adrette Londoner zum primitiven Bauer, nachdem er ein paar Guinness intus hat, stinkend, gröglend und aufdringlich. Überhaupt hätte ich jedem gerne erklärt, wo er mich mal kann.
Vielleicht hätte ich mich auch nur etwas unter die Leute mischen sollen, aber wer trifft sich denn in der Verfassung gerne mit neuen Bekannten?
Ein Blick in meinen Kalender verriet mir, dass ich noch keine 4 Wochen hier bin, also muss ich es noch ein Weilchen aushalten. Deswegen durchstöberte ich mal wieder alle meine Taschen, auf der Suche nach meiner Oystercard (mein U-Bahn Ticket ) und stapfte los in Richtung Docklands. Das Atelier eines Künstler, den ich mit meiner Freundin vor zwei Jahren bereits hier in London kennen gelernt habe war mein Ziel. Im Internet hatte ich seine Adresse gefunden, die immer noch dieselbe war.
Zwei Stunden später kam ich heim. Pitschnass. Erstmal eine heiße Schokolade. Ich hatte kein Glück, Pierres Galerie war geschlossen gewesen.
Auf einer Insel in der größten Stadt Europas, komme vor wie Robinson, nur habe ich nicht mal einen Freitag…
logo

The best dog is a Hot Dog

Praktikum in London

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

und so gehts weiter...
http://eddigoesuniversity. twoday.net
EddiinLondon - 18. Mär, 17:56
Auf deutschem Boden
Die ersten vertrauten Gesichter in die ich schaue sind...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:40
Schalter, Pech und Pannen
Der unfreundliche Mann am Schalter (ich betone deswegen,...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:37
Alles Easy
Die Party wirkt wie eine Betäubungsspritze, denn mein...
EddiinLondon - 28. Jan, 23:36
ps
und das schlimmste.. Was soll ich jetzt immer lesen...
steffen (Gast) - 28. Jan, 02:28

Links

Suche

 

Status

Online seit 6108 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren